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Der Kardinal im Kreml

Der Kardinal im Kreml

Titel: Der Kardinal im Kreml
Autoren: Clancy Tom
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Morosow.
    Â»Wie soll ich das wissen?« erwiderte der Tiefbauingenieur mit dem Lächeln eines Eingeweihten. »Ich bin noch nie einem Astronomen begegnet.«
    Morosow lachte in sich hinein. Er hatte also doch richtig
geraten. Sie hatten gerade die Positionen der sechs Punkte vermessen, an denen Spiegel aufgestellt werden sollten – im gleichen Abstand von einem Gebäude in der Mitte, das Männer mit Gewehren bewachten. Er wußte, daß mit solcher Präzision nur auf zwei Anwendungsgebieten gearbeitet wurde. Das eine, die Astronomie, sammelte einfallendes Licht. Das andere sandte Licht nach oben. Hier mußt du hin, sagte sich der junge Wissenschaftler. Was hier geschieht, wird die Welt verändern.

1
    Es ging ums Geschäft, es wurde verhandelt. Alle Anwesenden wußten das. Alle brauchten es. Und doch war jeder Anwesende so oder so entschlossen, ihm ein Ende zu setzen. Für jeden in der St.-Georgs-Halle im Kremlpalast gehörte dieser Dualismus zum normalen Leben.
    Die Teilnehmer waren vorwiegend Russen und Amerikaner und zerfielen in vier Gruppen.
    Zuerst die Diplomaten und Politiker. Diese erkannte man leicht an überdurchschnittlich guter Kleidung und aufrechter Haltung, roboterhaftem Lächeln und vorsichtiger Ausdrucksweise, die auch das häufige Zuprosten unbeschadet überstand. Sie waren die Herren, sich dessen auch bewußt, und demonstrierten es mit ihrem Verhalten.
    Zweitens die Soldaten. Abrüstungsverhandlungen gab es nicht ohne diese Männer, die über die Waffen bestimmten, sie prüften und pflegten und sich dabei einredeten, die Politiker würden den Befehl zum Start niemals geben. Die Militärs in ihren Uniformen standen vorwiegend in geschlossenen kleinen Gruppen, gegliedert nach Waffengattungen, jeder mit einem halbvollen Glas und einer Serviette in der Hand; ihre ausdruckslosen Augen schienen den Raum nach einer Bedrohung abzusuchen wie ein unbekanntes Schlachtfeld. Und genau das war diese Umgebung auch für sie, ein unblutiges Schlachtfeld, auf dem echte Treffen definiert wurden. Die Soldaten trauten nur ihresgleichen  – und oftmals ihren Feinden in andersfarbigen Uniformen mehr als ihren eigenen Herren im weichen Tuch. Bei einem Soldaten, selbst bei einem aus dem anderen Lager, wußte man wenigstens, woran man war; etwas, das man von Politikern, auch von den eigenen, nicht immer behaupten konnte. Sie sprachen leise miteinander, achteten immer darauf, wer zuhörte, hielten gelegentlich inne, um einen raschen Schluck zu trinken, begleitet von einem
erneuten Rundblick im Raum. Sie waren die Opfer, aber auch die Raubtiere – Hunde vielleicht, an Leinen gehalten von Herren, die sich für die Meister der Lage hielten.
    Auch dies zu glauben, fiel den Soldaten schwer.
    Drittens die Reporter. Auch sie waren an der Kleidung zu erkennen, immer zerknittert, weil zu oft in zu kleine Koffer gepackt. Es fehlte ihnen die Glattheit der Politiker, das starre Lächeln; statt dessen hatten sie fragende Blicke und den Zynismus der Zügellosen. Viele hielten ihr Glas in der Linken, manchmal zusammen mit einem kleinen Notizblock anstelle der Papierserviette, die Rechte barg halb versteckt einen Stift. Sie zogen ihre Kreise wie Raubvögel. Einer fand jemanden, der zu reden bereit war, andere merkten das und kamen herüber, um die Information aufzusaugen. Wie interessant die Information war, erkannte der flüchtige Beobachter an der Geschwindigkeit, mit der sich die Reporter zur nächsten Quelle bewegten. In dieser Hinsicht unterschieden sich die Presseleute aus Amerika und anderen westlichen Ländern von ihren sowjetischen Kollegen, die sich um ihre Herren scharten wie Günstlinge bei Hof – um ihre Loyalität unter Beweis zu stellen und als Puffer gegen ihre ausländischen Kollegen zu wirken. Zusammen aber stellten sie das Publikum dieser Theatervorstellung dar.
    Viertens die letzte Gruppe, die unsichtbare, die kaum jemand zu identifizieren vermochte. Das waren die Spione und die Abwehragenten, die sie jagten. Sie ließen sich leicht von den Sicherheitsoffizieren unterscheiden, die vom Rande aus argwöhnisch alle beobachteten, unsichtbar wie die Kellner, die mit Champagner und Wodka in Kristallgläsern auf Silbertabletts ihre Runden machten. Selbstverständlich waren unter den Kellnern Abwehragenten, die sich mit gespitzten Ohren durch den Raum bewegten, auf einen Konversationsfetzen lauschend, eine zu leise
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