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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte
Autoren: Robert Schindel
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Edmund.
    »Der Bruder von Margit.«
    »Aha. Achso. Hasst der dich nicht, oder hab ich was falsch verstanden, Rosa?«
    »Von ihm sind die Karten«, sagte Karl.
    »Deutsches Requiem«, sagte Rosa. »Und alles Fleisch, es ist wie Gras. Erinnerst du dich?« Fraul nickte.
    »Ich danke dir, Karl, ich danke euch. Was machen eure Proben?«
    Und während Karel und Kathi abwechselnd von den Proben zu Was ihr wollt berichteten, sich hiebei gegenseitig ins Wort fielen und lachten, beobachtete Rosa ihren Mann, der den beiden sein Gesicht zugewandt hatte.
     
    Das Ehepaar Fraul traf eine Viertelstunde vor Beginn im Musikvereinsgebäude ein. Inge Haller sah sie, näherte sich und begrüßte Rosa, erkundigte sich nach ihrem Befinden. Dabei begann sie auf sie einzusprechen, als wäre sie eine alte Freundin. Edmund stand daneben, schaute umher und erblickte Karel, der mit Katharina zur Tür hereinkam. Karl nickte den Eltern zu, sah fragend auf Inge Haller. Die drehte sich weg, verabschiedete sich von Rosa und entfernte sich. Dolly und Helen erschienen gemeinsam und lachten miteinander, Dolly begrüßte mit einem Aufschrei ihren ehemaligen Schulkollegen Tschurtschentaler. Renate Keyntz ging auf die Gruppe zu, umarmte Helen, gab Dolly die Hand. Als das Requiem losging, saßen alle in einer Reihe, und jeder suchte mit seinem Blick den Stefan Keyntz im Chor. Sie entdeckten ihn unter den Tenören, und auch Stefan besah sich seine persönlichen Gäste, sein Blick blieb an Dolores und Helen hängen.
    Als im zweiten Satz in g-Moll langsam marschmäßig Petri 1, 24 erklang und Stefan sich bemühte, mit seiner strahlenden Stimme nicht herauszuragen, schaute Rosa zu Edmund. Sie bewegte die Lippen, als der Chor anhob: » Denn al-les Fleisch es ist wie Gras und al-le Herr-lich-keit des Men-schen wie des Gra-ses Blu-men. « Edmund schaute zurück und zwinkerte. Karl beobachtete seine Eltern aus den Augenwinkeln. Hernach ließ er seine Blicke schweifen und bemerkte Astrid von Gehlen auf dem Balkon, die ihn mit heruntergezogenen Mundwinkeln anstarrte. Karl hob die Hand zum Gruß. Astrid drehte den Kopf weg.
     
    Als das Deutsche Requiem zu Ende war, wartete seine Mutter gemeinsam mit den drei Frauls und Katharina, mit Helen und Dolly auf Stefan. Als er herauskam, klatschten sie, umstanden ihn, klopften ihm auf die Schulter. Er bedankte sich, berichtete, dass dies sein letztes Singen im Chor war. Jetzt singe er nur noch als Solist. Er küsste seine Mutter und verließ mit Helen und Dolly den Musikverein.
     
    *
     
    Am 23. Dezember 1989 trat Bundespräsident Wais zurück. Am Ende seiner kurzen Erklärung wünschte er seinen Landsleuten gesegnete Weihnachten und ein gutes Neues Jahr 1990.
     
    Johann Wais starb am 14. März 2003. An seinem Sterbebett bat er alle um Verzeihung, die er gekränkt und verletzt hatte.
     
    Am 28. Jänner 2004 saß Karl Fraul am Bett seines sterbenden Vaters. Er hielt dessen Hand. Edmund erwachte aus tiefem Schlaf, sah seinen Sohn, wollte sich aufrichten, blieb liegen und sagte mit leiser Stimme:
    »Wir müssen alle in unseren eigenen Fußstapfen gehen.«
    Karl beugte sich zu Edmund hinunter.
    »Was hast du gesagt?«
    »Wir müssen alle unseren Weg gehen.«
    Nach einer Weile schloss Karl seinem Vater die Augen.
     
    Als Rosa am 5. Jänner 2013 im jüdischen Altersheim verschied, schneite es. Der Wind, der von der Donau kam, hatte allmählich nachgelassen, bis es windstill wurde, sodass der Schnee in großen und dicken Flocken lotrecht zu Boden fiel.

Glossar
    abbröseln  rumhängen, absaufen, verkommen
    abseilen  langsam abhauen, sich verziehen
    Abwasch  Spülbecken
    Adi Eichmann  Adolf Eichmann (1906-1962): Naziverbrecher
    Afikonam  ein Stück Matze, das am Sederabend versteckt wird
    Affrikate  Verbindung von Verschlusslaut mit Reibelaut
    Aida  Café-Konditoreikette in Wien
    AKH  Allgemeines Krankenhaus
    Altaussee  Ort im steirischen Salzkammergut; beliebte Sommerfrische
    Alpenmichl  Bergbewohner
    Amarcord  Lokal beim Naschmarkt in Wien
    anjeijern  anjammern
    anpapperlt sein  angefressen, verärgert sein
    anpatzen  beschmutzen, verleumden
    anpicken  ankleben
    anriffeln  zackig und wellenförmig etwas anzeichnen, hervorheben
    Anschluss  Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland
    anschnuddeln  beriechen, beschnüffeln
    Antifabegriff  Antifaschismusbegriff
    Anzählung  aus dem Boxen: das Zählen bis neun
    Anzengruber  Kaffeehaus im 4. Wiener Gemeindebezirk
    Apfelkren  geriebener
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