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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae
Autoren: Robert Louis Stevenson
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ob sie bei wandernden Schauspielern in die Lehre gegangen wäre. Ich hatte die Empfindung, daß ihr ganzer Kummer nur vorgetäuscht war, und daß sie das Geschäft betrieb, weil ihre Schande jetzt alles war, auf das sie stolz sein konnte. Ich will nicht behaupten, daß sie mir nicht leid tat, aber mein Mitleid war mit Verachtung gepaart, und schließlich hörte es ganz auf. Das geschah, als sie mich als Zuhörer satt hatte und schließlich ihren Namen unter die Quittung setzte. »Hier!« sagte sie, stieß höchst unweibliche Flüche aus und forderte mich auf zu gehen und die Quittung dem Judas hinzutragen, der mich gesandt hätte. Zum erstenMale hörte ich damals diese Bezeichnung auf Mr. Henry angewandt, ich war verdutzt über die plötzliche Heftigkeit ihrer Ausdrücke und verließ den Raum wie ein getretener Hund unter dem Hagel ihrer Verwünschungen. Aber selbst dann war ich noch nicht frei, denn die Hexe riß das Fenster auf, lehnte sich heraus und fuhr fort mich zu lästern, während ich die Gasse hinunterschritt. Die Schmuggler kamen aus der Wirtshaustür, begannen ebenfalls zu spötteln, und einer besaß die Unmenschlichkeit, einen wütigen kleinen Hund auf mich zu hetzen, der mich in die Wade biß. Das war eine üble Lehre, wenn ich noch einer bedurft hätte, um solch wüste Gesellschaft zu meiden. Ich ritt nach Hause mit Schmerzen vom Biß und sehr verstimmt in meinem Herzen. Mr. Henry war im Verwaltungszimmer und tat so, als ob er arbeitete, aber ich merkte, daß er ungeduldig auf den Bericht über meinen Gang wartete.
    »Nun?« fragte er, sobald ich eintrat, und als ich ihm erzählt hatte, was geschehen war, und daß Jessie die Unterstützung nicht verdiente und sehr undankbar sei, sagte er: »Sie ist mit mir nicht befreundet, aber, Mackellar, ich darf mich nur weniger Freunde rühmen, und Jessie hat Ursache ungerecht zu sein. Ich will nicht verschweigen, was die ganze Gegend weiß: sie wurde von einem Mitglied unserer Familie sehr schlecht behandelt.« Es war das erstemal, daß er andeutungsweise von dem Junker sprach, und ich glaube, auch das war ihm noch zuviel, denn gleich darauf fügte er hinzu: »Ich hätte lieber nichts sagen sollen, es könnte Mrs. Henry und meinem Vater weh tun«, und wieder wurde er rot.
    »Mr. Henry«, sagte ich, »wenn ich mir erlauben darf, Ihnen einen Rat zu geben, so würde ich diese Frau laufen lassen. Was nützt einer solchen Person Ihr Geld? Sie ist weder nüchtern noch sparsam, und was ihre Dankbarkeit betrifft, so könnten Sie eher Wein aus Granit zapfen, und wenn Sie Ihre Freigebigkeit beschränkten, hätte das keine anderen Folgen, als daß die Waden Ihrer Boten geschont würden.«
    Mr. Henry lächelte. »Ihre Wade tut mir wirklich leid«, sagte er mit angemessenem Ernst.
    »Erwägen Sie bitte«, fuhr ich fort, »daß ich Ihnen diesen Rat nach reiflicher Überlegung gebe, obgleich mein Herz anfangs für die Frau eingenommen war.«
    »Das ist es, sehen Sie!« antwortete Mr. Henry. »Und denken Sie daran, daß ich sie einst als sehr niedliches Mädel kannte. Übrigens habe ich Rücksicht zu nehmen auf den Ruf meiner Familie, wenn ich auch wenig davon spreche.«
    Dann brach er die Unterredung ab, die erste, die wir in solcher Vertraulichkeit führten. Aber am Nachmittag schon bekam ich Gewißheit, daß sein Vater über die ganze Sache vollständig unterrichtet war, und daß Mr. Henry das Geheimnis nur seiner Frau gegenüber wahren wollte.
    »Ich fürchte, Sie hatten heute ein unangenehmes Geschäft zu erledigen?« sagte der Lord zu mir. »Und da es in keiner Weise zu Ihren Pflichten gehört, wünsche ich Ihnen meinen Dank auszusprechen und gleichzeitig ans Herz zu legen, falls Mr. Henry es nicht getan hat, daß es sehr wünschenswert wäre, wenn meine Tochternichts davon erführe. Gedanken über Tote, Mr. Mackellar, sind doppelt peinlich.«
    Zorn brannte in meinem Herzen, und ich hätte dem Lord ins Gesicht sagen können, wie wenig angebracht es sei, das Bild des Toten im Herzen von Mrs. Henry zu hegen, und wieviel besser es wäre, das falsche Götzenbild zu zerstören. Schon damals sah ich ziemlich genau, wie es mit meinem Herrn und seiner Frau stand.
    Meine Feder ist wohl imstande, eine einfache Geschichte klar niederzuschreiben, aber ich zweifle, ob es mir gelingt, die Wirkung von unendlich vielen kleinen Einzelheiten wiederzugeben, deren jede für sich nicht wert ist berichtet zu werden, und die Geschichte von Blicken und die Bedeutung von Worten, die an sich nicht
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