Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
an fernhielt.
    Der alte Lord war gleichmäßig liebenswürdig gegen Mr. Henry. Er zeigte sich sogar manchmal recht dankbar, klopfte ihm auf die Schulter und sagte, als ob er es allen Menschen mitteilen wollte: »Ein guter Sohn ist dies!« Und er war ohne Zweifel dankbar, denn er besaß Vernunft und Gerechtigkeitsgefühl. Aber ich glaube, das war alles, und ich bin sicher, daß Mr. Henry ebenso dachte. Die Liebe gehörte ganz und gar dem verstorbenen Sohn. Allerdings kam das selten zum Ausdruck und in meiner Gegenwart nur einmal. Der alte Lord fragte mich eines Tages, wie ich mit Mr. Henry fertig würde, und ich berichtete ihm die Wahrheit.
    »Nun wohl«, sagte er und blickte seitwärts in das brennende Feuer; »Henry ist ein guter Junge, ein sehr guter Junge. Haben Sie gehört, Mr. Mackellar, daß ich noch einen Sohn hatte? Ich fürchte, er war nicht so tugendhaft wie Mr. Henry, aber bedenken Sie, er ist tot! Zu seinen Lebzeiten waren wir alle sehr stolz auf ihn, sehr stolz. Wenn er auch manchmal nicht so war, wie wir es gewünscht hätten – nun, vielleicht haben wir ihn mehr geliebt!« Dabei blickte er sinnend ins Feuer, und dann sagte er sehr lebhaft zu mir: »Aber ich bin erfreut, daß Sie so gut mit Mr. Henry auskommen, er wird Ihnen ein gütiger Herr sein.« Dann öffnete er sein Buch – immer ein Zeichen, daß ich entlassenwar. Aber er las wohl nur wenig und verstand noch weniger, das Schlachtfeld von Culloden und der Junker beherrschten seine Gedanken, und die meinen waren belastet mit einer unnatürlichen Eifersucht auf den toten Mann zugunsten von Mr. Henry, die schon damals in mir wuchs.
    Von Mrs. Henry werde ich zuletzt sprechen, so daß solche Ausdrücke für mein Gefühl zunächst noch unbegründet herb erscheinen mögen. Der Leser soll selbst urteilen, wenn ich von ihr erzählt habe. Aber zunächst muß ich über ein anderes Geschehnis berichten, das mich vertrauter machte mit den Verhältnissen. Ich war noch nicht sechs Monate auf Durrisdeer, als John Paul krank wurde und das Bett hüten mußte. Nach meiner Ansicht war Trunksucht die Ursache seines Leidens, aber man pflegte ihn wie einen kranken Heiligen, und er benahm sich auch so. Selbst der Geistliche, der ihn besuchte, bekannte, daß er erbaut sei von ihm. Am dritten Tage der Krankheit kam Mr. Henry zu mir mit Leichenbittermiene.
    »Mackellar«, sagte er, »ich möchte Sie um einen kleinen Gefallen bitten. Wir bezahlen eine kleine Rente, die John abzuliefern pflegt, und da er krank ist, weiß ich niemand, den ich damit beauftragen könnte, als Sie. Die Sache ist recht unangenehm, ich selbst könnte das Geld aus verschiedenen Gründen nicht eigenhändig hintragen. Macconochie, der ein Schwätzer ist, darf ich nicht schicken, und – ich möchte, daß Mrs. Henry von der Sache nichts erfährt.« Er wurde rot bis über die Ohren, als er das sagte.
    Um die Wahrheit zu gestehen, glaubte ich, es handle sich um einen Fehltritt Mr. Henrys selbst, als ich feststellte, daß ich einer gewissen Jessie Broun das Geld hintragen sollte. Um so tiefer war der Eindruck, als ich die Wahrheit erfuhr.
    Jessie wohnte in einer üblen Seitengasse von St. Bride. Der Bezirk war von Pöbel bewohnt, größtenteils von Schmugglern. Zuerst begegnete ich einem Mann mit verbeultem Schädel, und dann auf halbem Wege hörte ich in einer Kneipe radaulustige und singende Burschen, obgleich es noch nicht neun Uhr war in der Frühe. Ich hatte nie schlimmeres Pack gesehen, selbst nicht in der großen Stadt Edinburgh, und hatte große Lust umzukehren. Jessies Zimmer paßte ganz zu ihrer Umgebung, und sie selbst war auch nicht besser. Sie wollte mir keine Quittung geben, die Mr. Henry mich beauftragt hatte zu verlangen – denn er war sehr pedantisch –, bis sie Schnaps geholt und ich ein Glas mit ihr getrunken hätte. Die ganze Zeit benahm sie sich leichtfertig und kindisch, indem sie zeitweilig die Manieren einer Lady nachäffte und dann wieder allerlei unsinnige Redensarten gebrauchte, bis sie mir Liebesanträge machte, die mich anwiderten. Von dem Gelde sprach sie in tragischen Worten.
    »Blutgeld ist es!« sagte sie. »Das ist meine Ansicht, Blutgeld für einen Verrat! Sehen Sie nicht, wie ich heruntergekommen bin? Ach, wenn mein guter Junge wieder hier wäre, dann wäre alles anders. Aber er ist tot, er liegt im Hochland begraben! Der gute Junge, der gute Junge!«
    Sie hatte eine verrückte Art, von ihrem guten Jungen zu sprechen, sie rang die Hände und verdrehte die Augen, als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher