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Der junge Gelehrte

Der junge Gelehrte

Titel: Der junge Gelehrte
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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ueber Julianen? O Herr Vater, wenn Sie noch meine Gedanken ueber Erinnen oder Korinnen, ueber Telesillen oder Praxillen verlangten—
    Chrysander . Schocktausend! was sind das fuer Illen? Den Augenblick schwur er, er kenne kein Frauenzimmer, und nun nennt er ein halb Dutzend Menscher.—
    Damis . Menscher? Herr Vater!
    Chrysander . Ja, Herr Sohn, Menscher! Die Endung gibt's gewiss nicht? Netrix, Lotrix, Meretrix.—
    Damis . Himmel, Menscher! griechische beruehmte Dichterinnen Menscher zu nennen!—
    Zweiter Auftritt
    8
    Der junge Gelehrte
    Chrysander . Ja, ja, Dichterinnen! das sind mir eben die rechten. Lotrix, Meretrix, Poetrix—
    Damis . Poetrix? O wehe, meine Ohren! Poetria muessten Sie sagen: oder Poetris—
    Chrysander . Is oder ix, Herr Buchstabenkraemer!
    Dritter Auftritt
    Chrysander . Damis. Lisette.
    Lisette . Hurtig herunter in die Wohnstube, Herr Chrysander! Man will Sie sprechen.
    Chrysander . Nun, was fuer ein Narr muss mich jetzo stoeren? Wer ist es denn?
    Lisette . Soll ich alle Narren kennen?
    Chrysander . Was sagst du? Du hast ein unglueckliches Maul, Lisette. Einen ehrlichen Mann einen Narren zu schimpfen? Denn ein ehrlicher Mann muss es doch sein; was wollte er sonst bei mir?
    Lisette . Nu, nu; verzeihen Sie immer meinem Maule den Fehler des Ihrigen.
    Chrysander . Den Fehler des meinigen?
    Lisette . O gehen Sie doch! der ehrliche Mann wartet.
    Chrysander . Lass ihn warten. Habe ich doch den Narren nicht kommen heissen.—Ich werde gleich wieder da sein, mein Sohn.
    Lisette (beiseite) . Ich muss doch sehen, ob ich aus dem wunderlichen Einfall meiner Jungfer etwas machen kann.
    Vierter Auftritt
    Lisette . Damis.
    Damis . Nun? geht Lisette nicht mit?
    Lisette . Ich bin Ihre gehorsamste Dienerin. Wenn Sie befehlen, so werde ich gehorchen. Aber nur eines moechte ich erst wissen. Sagen Sie mir, um des Himmels willen, wie koennen Sie bestaendig so allein sein?
    Was machen Sie denn den ganzen Tag auf Ihrer Studierstube? Werden Ihnen denn nicht alle Augenblicke zu Stunden?
    Damis . Ach, was nutzen die Fragen? Fort! fort!
    Lisette . Ueber den Buechern koennen Sie doch unmoeglich die ganze Zeit liegen. Die Buecher, die toten Gesellschafter! Nein, ich lobe mir das Lebendige; und das ist auch Mamsell Julianens Geschmack. Zwar dann und wann lesen wir auch; einen irrenden Ritter, eine Banise, und so etwas Gutes; aber laenger als eine Stunde halten wir es hintereinander nicht aus. Ganze Tage damit zuzubringen wie Sie, hilf Himmel! in den ersten dreien waeren wir tot. Und vollends nicht ein Wort dabei zu reden wie Sie; das waere unsre Hoelle. Ein Vorzug des ganzen maennlichen Geschlechts kann es nicht sein, weil ich Mannspersonen kenne, die so Dritter Auftritt
    9
    Der junge Gelehrte
    fluechtig und noch fluechtiger sind als wir. Es muessen nur sehr wenig grosse Geister diese besondere Gaben besitzen.—
    Damis . Lisette spricht so albern eben nicht. Es ist schade, dass ein so guter Mutterwitz nicht durch die Wissenschaften ausgebessert wird.
    Lisette . Sie machen mich schamrot. Bald duerfte ich mich dafuer raechen und Ihnen die Lobeserhebungen nacheinander erzaehlen, die Ihnen von der gestrigen Gartengesellschaft gemacht wurden. Doch ich will Ihre Bescheidenheit nicht beleidigen. Ich weiss, die Gelehrten halten auf diese Tugend allzuviel.
    Damis . Meine Lobeserhebungen? meine?
    Lisette . Ja, ja, die Ihrigen.
    Damis . O besorge Sie nichts, meine liebe Lisette. Ich will sie als die Lobeserhebungen eines andern betrachten, und so kann meine Bescheidenheit zufrieden sein. Erzaehle Sie mir sie nur. Bloss wegen Ihrer lebhaften und ungekuenstelten Art, sich auszudruecken, wuensche ich sie zu hoeren.
    Lisette . O meine Art ist wohl keine von den besten. Es hat mir ein Lehrmeister wie Sie gefehlt. Doch ich will Ihrem Befehle gehorchen. Sie wissen doch wohl, wer die Herren waren, die gestern bei Ihrem Herrn Vater im Garten schmauseten?
    Damis . Nein, wahrhaftig nicht. Weil ich nicht dabeisein wollte, so habe ich mich auch nicht darum bekuemmert. Hoffentlich aber werden es Leute gewesen sein, die selbst lobenswuerdig sind, dass man sich also auf ihr Lob etwas einbilden kann.
    Lisette . Das sind sie so ziemlich. Was wuerde es Ihnen aber verschlagen, wenn sie es auch nicht waeren? Sie wollen ja Ihre Lobeserhebungen aus Bescheidenheit als fremde betrachten. Und haengt denn die Wahrheit von dem Munde desjenigen ab, der sie vortraegt? Hoeren Sie nur—
    Damis . Himmel! ich hoere meinen Vater wiederkommen. Um Gottes willen, liebe
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