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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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paarmal öfter rauszuschleichen, dann kann er es uns irgendwann nicht mehr verbieten. Aber jetzt müssen wir langsam wieder reingehen. Und die Tür zum Lager leise zumachen.«
    »Aber wieso ist kein Essen mehr da? Wo sind denn unsere ganzen Vorräte?«, fragt Fride.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt es ein zweites Lager. Papa weiß schließlich, wie viel wir noch haben. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.«
    »Ich wünschte, wir könnten bald wieder Pfannkuchen essen. Das letzte Mal ist so lange her«, sagt Fride.
    »Oh ja, das wäre schön«, sagt Nanna. »Aber jetzt gehen wir zurück, bevor Papa aufwacht. Komm. Lieber schleichen wir uns morgen wieder raus, wenn er schläft.«
    Sie verlassen die Veranda und gehen über die Wiese vor demHaus. Bei jedem Schritt knacken Zweige und Blätter unter ihren Füßen. Sie bedecken den ganzen Boden.
    »Hier müssen wir Ordnung machen«, sagt Nanna.
    »Was sind das für Stangen?«, fragt Fride und zeigt zu den Bäumen.
    »Weißt du das nicht?«, sagt Nanna.
    »Nein.«
    »Das ist eine Schaukel.«
    Nanna geht zu dem verrosteten Gestell.
    »Oh, so sehen die aus. Ich habe nie kapiert, was du mit Schaukel meinst«, sagt Fride.
    »Komm und setz dich«, sagt Nanna und zeigt Fride den Sitz aus Holz.
    Fride betrachtet das grünlackierte Brett.
    »Setz dich einfach hin.«
    Fride setzt sich und Nanna gibt ihr Schwung.
    »Mehr«, sagt Fride und zappelt mit den Beinen. »Schneller!«
    Die alten Ketten knirschen und Nanna schaut sich nervös um. Der Wald bleibt still. Sie sieht zu den Bäumen und an den Zweigen kann sie kleine Knospen erkennen, aber die Knospen sind braun und klebrig, als wäre der Frühling einfach stecken geblieben. Sie späht über die Hügel und kahlen Felsen, dorthin, wo sich nur die Wellen bewegen.
    Fride juchzt und Nanna schubst sie noch fester an.
    »Du musst die Beine im Rhythmus mitbewegen. Und dich nach hinten lehnen.«
    Fride wackelt vor und zurück, während Nanna ihr Schwung gibt. Die Sonne scheint und der Wind weht in sanften, warmenBöen. Bei jedem Stoß spürt sie Frides warmen Rücken an ihren Fingern.
    »Mehr!«, ruft Fride und strampelt mit den Beinen.
    Nanna lächelt und denkt, wie schön es werden wird. Papa wird erkennen, dass alles sicher ist und ihnen erlauben, draußen zu sein. Vielleicht können sie sogar baden und Krebse angeln?
    Da hört Nanna einen dumpfen Schlag und dreht den Kopf. Hinter ihnen bewegt sich etwas. Ein Schatten, eine unmerkliche Veränderung, die ihr Körper wahrnimmt.
    »Da kommt jemand, Fride. Da kommt jemand«, flüstert sie und denkt, wie dumm sie gewesen sind.
    Sie hören ein Krachen hinter sich und im selben Moment, in dem sie sich zum Haus umdrehen, sehen sie, wie die Verandatür aufgeschlagen wird und Papa auf sie zurennt. Er legt die Arme um seine Töchter, als wollte er sie verstecken, und flüstert: »Kommt, kommt schnell. Alles wird gut.«
    Papa lässt den Blick über den Waldrand streifen. »Kommt, kommt«, sagt er und sie rennen geduckt ins Haus. Die Luke zum Bunker steht offen.
    Nanna und Fride sind gerade im Begriff, nach unten zu klettern, als Papa stehen bleibt. Er steht mitten im Wohnzimmer, geht in die Hocke und legt einen Finger an die Lippen, damit sie leise sind. Dann dreht er sich vorsichtig um und späht über das Fensterbrett. Fride und Nanna legen sich auf den Boden und warten. Papa rutscht auf den Knien am Fenster entlang und starrt nach draußen. Dann bleibt er still sitzen. Das Einzige, was sie hören, ist der Wind, der ums Haus weht, und das Rascheln der trockenen Blätter auf dem Boden. In der Ferne rauschen die Wellen. Er dreht sich um und sein Blick fällt auf die Schachteln und die zerbrochene Glasschale vor demSchrank in der Ecke. Zwischen den Scherben liegt ein Schnuller. Er hebt ihn auf und bläst den Staub weg. Er schaut sich um und schlägt mit der Hand aufs Sofa. Eine Staubwolke verteilt sich im Zimmer. Seine Augen werden feucht und er sackt zusammen, beugt den Kopf nach unten, unterdrückt ein Husten. In diesem Moment scheint ihn alle Kraft zu verlassen. Er sieht Nanna und Fride an und schüttelt vorsichtig den Kopf. Dann steht er auf und sagt: »Geht runter in den Bunker und wartet auf mich, ich komme gleich nach.«
    Enttäuschung breitet sich in Nanna aus und während sie nach unten steigt, kommen ihr die Tränen. Die feuchte, warme Luft macht das Atmen schwer. Sie bleiben an der Treppe stehen und warten. Papa geht durchs Haus, auch hoch in den oberen Stock. Dort bleibt er eine
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