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Der Idiot

Titel: Der Idiot
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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den Brillantohrgehängen erzählten. Aber auch schon vor den Ohrgehängen haben Sie mir gefallen, wiewohl Sie eine so düstere Miene haben. Ich danke Ihnen auch für die versprochenen Kleider und den Pelz; denn ich werde wirklich Kleider und einen Pelz bald nötig haben. An Geld besitze ich in diesem Augenblick kaum eine Kopeke.«
    »Geld wird dasein, zum Abend wird Geld dasein; komm nur!«
    »Es wird dasein, wird dasein«, echote der Beamte. »Zum Abend, noch vor Sonnenuntergang, wird welches dasein!«
    »Sind Sie ein großer Freund des weiblichen Geschlechts, Fürst? Sagen Sie es mir schon vorher!«
    »Ich? N-n-nein! Ich bin ja ... Sie wissen vielleicht nicht, ich kenne ja infolge meiner angeborenen Krankheit die Frauen überhaupt nicht.«
    »Nun, wenn's so ist«, rief Rogoschin, »so bist du ja ein richtiger Jurodiwy, Fürst, und solche Menschen wie dich liebt Gott.«
    »Und solche Menschen liebt Gott der Herr«, wiederholte der Beamte.
    »Und Sie können mir folgen, Sie Schmeißfliege!« sagte Rogoschin zu Lebedjew.
    Alle verließen den Waggon.
    Lebedjew hatte also schließlich doch sein Ziel erreicht. Bald entfernte sich der lärmende Haufe in der Richtung nach dem Wosnesenski-Prospekt zu. Der Fürst mußte sich nach der Litejnaja-Straße wenden. Es war feucht und naß; der Fürst erkundigte sich bei Vorübergehenden: er hörte, daß es bis zum Ende seines Weges etwa drei Werst seien, und entschied sich dafür, eine Droschke zu nehmen.
     
Fußnoten
     
    1 Kann heißen: »die Letzte ihres Geschlechtes« oder »die Geringste von ihrer Sorte«. (A.d.Ü.)
     
    2 Verkleinerungsform von Semjon. (A.d.Ü.)
     
    3 Jurodiwy, ein von Geburt Blödsinniger, ein ›Narr in Gott‹; das Volk hält solche Menschen für besondere Schützlinge Gottes, oft für Propheten. (A.d.Ü.)
     
     
II
    Der General Jepantschin wohnte in seinem eigenen Haus, etwas seitwärts von der Litejnaja-Straße, nach der Preobraschenski-Kathedrale zu. Außer diesem stattlichen Haus, von dem fünf Sechstel vermietet waren, besaß General Jepantschin noch ein gewaltiges Haus in der Sadowaja-Straße, das gleichfalls einen sehr hohen Ertrag brachte.
    Außer diesen beiden Häusern hatte er dicht bei Petersburg ein sehr bedeutendes, einträgliches Gut und ferner im Petersburger Kreis eine Fabrik. In früheren Zeiten hatte General Jepantschin, wie allgemein bekannt war, sich auch an Branntweinpachtungen beteiligt. Jetzt war er Mitglied mehrerer solider Aktiengesellschaften und hatte dabei eine sehr gewichtige Stimme. Er galt als ein Mann mit großem Vermögen, ausgedehnter Tätigkeit und einflußreichen Verbindungen. An manchen Stellen hatte er es verstanden, sich völlig unentbehrlich zu machen, unter anderm auch in seinem Dienst. Aber daneben war auch bekannt, daß Iwan Fjodorowitsch Jepantschin ein Mann ohne Bildung war, der Sohn eines gemeinen Soldaten; dies konnte ihm ohne Zweifel nur zur Ehre gereichen; aber obgleich der General ein verständiger Mensch war, so war er doch nicht frei von kleinen, sehr verzeihlichen Schwächen und liebte es nicht, daß jemand auf gewisse Dinge anspielte. Aber ein verständiger, gewandter Mensch war er unstreitig. So zum Beispiel befolgte er den Grundsatz, sich nicht vorzudrängen, wo es zweckmäßig war, in den Hintergrund zu treten, und viele schätzten ihn gerade wegen seiner Schlichtheit, gerade deswegen, weil er immer seinen Platz kannte. Wenn indessen diese Beurteiler nur gesehen hätten, was manchmal in Iwan Fjodorowitschs Seele vorging, der seinen Platz so gut kannte! Obgleich er tatsächlich große Geschicklichkeit und Erfahrung in irdischen Dingen und mancherlei sehr beachtenswerte Fähigkeiten besaß, so vermied er es doch, als der geistige Urheber eines Planes zu erscheinen, und tat lieber so, als führe er nur eine fremde Idee aus; er gab sich als einen Mann, der »ohne Kriecherei treu ergeben« sei, und (wozu läßt man sich nicht durch die Zeitverhältnisse bringen?) sogar als echten Russen. In letzterer Hinsicht begegneten ihm sogar einige amüsante Geschichten; aber der General ließ nie den Kopf hängen, auch bei den komischsten Vorfällen nicht; außerdem hatte er Glück, sogar im Kartenspiel, und er spielte außerordentlich hoch und verbarg absichtlich nicht diese kleine (wenn man will) Schwäche für das Kartenspiel, die ihm in vielen Fällen so wesentlichen Nutzen brachte, sondern kehrte sie vielmehr heraus. Die gesellschaftlichen Kreise, in denen er verkehrte, waren von sehr verschiedener Art,
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