Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hochwald

Der Hochwald

Titel: Der Hochwald
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
Gefühle, wodurch der Schöpfer die zwei Geschlechter bindet, daß sie selig seinem Zwecke dienen - aber dennoch war ihr nicht, als sei sie selig, ja ihr war, als seien jene einförmigen Tage vorher glücklicher gewesen, als die jetzigen, und als habe sie sich damals mehr geachtet und geliebt. - Sie blickte fast mit Wehmuth darnach zurück, wie sie so gegangen war durch die Stellen des Waldes mit Gregor, mit Johannen, unschuldig plaudernd, selbst so unschuldig wie die Schwester und der Greis, die so schön an sie geglaubt hatten, dann Abends kosend und lehrend und einschlafend mit Johannen, deren einfältigem Herzen sie Schatz und Reichthum dieser Erde gewesen - - und jetzt: ein schweres süßes Gefühl trug sie im Herzen, hinweggehend von den zwei Gestalten an ihrer Seite, den sonst geliebten, und suchend einen Fremden, und suchend die Steigerung der eignen Seligkeit. - - O du heiliges Gold des Gewissens, wie schnell und schön strafst du das Herz, das beginnet, selbstsüchtig zu werden.
    Johanna, wie überschüttend auch die Liebesbeweise ihrer Schwester waren, und vielleicht eben darum, fühlte recht gut, daß sie etwas verloren - nicht die Liebe der Schwester, diese war ja noch größer und zarter, nicht ihr früher gegenseitig Thun und Wandeln, das war wie ehedem - was denn nun? Sie wußte es nicht; aber es war da, jenes Fremde und Unzuständige, das sich wie ein Todtes in ihrem Herzen fortschleppte; - sie liebte Clarissen noch heißer, als früher, weil sie ihr erbarmte, aber oft überkam ihr Herz, wie ein Kind, ein Heimwehgefühl nach der Vergangenheit, und dieß trat dann zuweilen bei den geringfügigsten Dingen hervor, die sich mit ein paar Fäden zurückspannen in die Zeit, die einzig schön und einfach war. So kamen sie eines Tages ob dem See über den Verhau herüber, und traten auf ein Birkenplätzchen hinaus, das sie im Sommer seiner Hitze wegen geflohen hatten; denn es lag in eine Felsenbucht hinein, von der die Sonnenstrahlen glühend wiederprallten. Jetzt floß, wie süße Milch, der laue Nachsommer um die weißen Stämme und um ihre einzelnen goldgelben Blätter; er floß hier wärmer, und schmeichelnder als an jeder andern Stelle, und wie sie vorwärts schritten, gewahrten sie, ordentlich sonderbar in so spätem Herbste, eine ganze Versammlung jener schönen großen Tagesfaltern, die von den vier dunklen, beinahe schwarzen Flügeln mit den gelben Randbändern den Namen Trauermantel erhalten haben, theils auf dem weißen Stamme sitzend, die dürftige Sonne suchend, und nach Art dieser Thiere in derselben spielend, indem sie die Flügel sachte auf- und zulegten - oder indem sie mit den unhörbaren Flügelschlägen um denselben Stamm herumflatterten, auf dem die andern saßen. Die Mädchen blieben überrascht stehen, und betrachteten das seltsame Schauspiel. Die zarten Mäntel waren von so weichem unverletztem Sammte, die Bänder von so frischem dunklem Gelb, daß Johanna augenblicklich ausrief: »O ihr armen betrognen Dinger, ihr seid noch Kinder, und alle noch in eurer Kinderstube versammelt; die warme Herbstsonne dieses Platzes log euch heraus, und nun seid ihr da, unheimliche Fremdlinge dieser Sonne, trägen Flügelschlages in diesem Afterfrühlinge, und gewiß sehr hungrig; denn wo sind die Blumen und die Lüfte und die summende Gesellschaft, die euch das Herz eures Raupenlebens versprach, und von denen euer Puppenschlaf träumte. - Sie werden alle kommen, aber dann seid ihr längst erfroren.«
    »Da irret ihr euch, Jungfrau,« fiel der alte Jäger ein, »es kommt nur darauf an, ob sie sich vermählen oder nicht. Diese Thierchen sterben bald nach ihrer Hochzeit, und wie oft habe ich nicht eine Mutter todt an demselben Zweige hängen gefunden, um den sie ihre Eier gelegt hatte. Wenn sie sich aber nicht vermählen, so erstarren sie, und seht, in einer Felsenritze geduckt, oft in Eis und Schnee gefroren, überdauert dieses zerbrechliche Wesen den harten Winter des Waldes, und erlebt dann seinen versprochenen Frühling. Habt ihr noch nie schon beim ersten Sonnenblicke, wenn noch kaum Halm und Gras hervor ist, einen Falter fliegen gesehen mit ausgebleichten zerfetzten Flügeln, wie ein vorjährig verwittert Blatt? - Dieß ist so ein Ueberwinterer.«
    Aber Johanna antwortete nicht; die Rede des Alten fiel ihr wie ein Stein auf das Herz; es wurde ihr fast so weh, daß sie nichts redete, und der armen Schwester nachsah, die vorausging und ihre Gedanken längst schon von den Faltern abgewendet
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher