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Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich

Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich

Titel: Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich
Autoren: Verschiedene
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Sekundenlang starrten wir uns nur wortlos und aus ungläubig aufgerissenen Augen an, dann löste sich Lady Audley aus ihrer Starre, trat einen Schritt auf mich zu, hob die Hand an den Mund und tastete über ihre Lippen. Eine Sekunde lang starrte sie ihre Fingerspitzen an, als erwarte sie, dort etwas Bestimmtes zu entdecken, dann senkte sie die Hand wieder, und ihr Blick saugte sich erneut in meinem fest.
    »Robert...«, flüsterte sie. »Was... was war das?«
    Ich antwortete nicht, sondern schüttelte nur benommen den Kopf. Hinter meiner Stirn drehten sich noch immer die Gedanken wirr im Kreis. Es fiel mir seltsam schwer, zu denken, und es war, als wisperte hinter meinen eigenen Gedanken noch eine zweite, fremde Stimme. Hilflos schüttelte ich den Kopf, hob den Arm und streckte die Hand nach ihrer aus. Meine Finger zitterten.
    »Nicht, Robert!« sagte Howard warnend.
    Ich ignorierte seine Worte. Vorsichtig bewegte ich mich weiter, spreizte die Finger und berührte mit den Fingerspitzen die Lady Audleys.
    Diesmal war es anders. Kein explosives Überspringen ungebändigter Kräfte sondern ein Vorgang, der eher mit einem behutsamen Verschmelzen zu beschreiben ist. Etwas aus ihr griff nach meiner Seele und verband sich mit etwas in mir, und ich sah und wußte...

    * * *

    Das Mädchen saß seit Stunden stumm am Fenster des kleinen, eher schäbig als bürgerlich eingerichteten Hotelzimmers und blickte auf die Straße hinab. Die Sonne war aufgegangen, während es ihre stumme Wacht angetreten hatte, und die Straßen hatten sich mit Menschen und Kutschen gefüllt, aber das Mädchen hatte sich nicht geregt.
    Starr wie eine Statue aus Stein hatte es auf seinem Stuhl gehockt; nur dann und wann war der Blick seiner sonderbar dunklen, beinahe pupillenlosen Augen nach Westen geirrt, ohne daß sich der Kopf dabei bewegt hätte. Die junge Frau hätte tot sein können, so unbeweglich saß sie da.
    In den Zimmern und Korridoren des Hotels war das Leben erwacht: Schritte, Stimmen und Gelächter waren durch die dünnen Wände mit den billigen Papiertapeten gedrungen, der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee, der aus dem Frühstücksraum heraufzog; später dann hatte eines der Zimmermädchen an die Tür geklopft und war wieder gegangen, nachdem ihr niemand aufgemacht hatte.
    Auf nichts von alledem hatte die dunkelhaarige Fremde in irgendeiner Form reagiert. Nicht einmal ihre Lider hatten sich bewegt; ihre Augen blickten starr wie die einer Toten auf die Straße hinab, und selbst ihre Körpertemperatur war gesunken, im gleichen Maße, in dem das Feuer im Kamin kleiner geworden und die Kälte durch die schlecht isolierten Mauern hereingebrochen war.
    Aber sie war nicht tot; ganz und gar nicht, wenn auch der Körper, dessen sie sich bediente, schon vor zwei Jahrzehnten zum letzten Mal geatmet und sich bewegt hatte. Waren auch ihre Lebensfunktionen auf ein Minimum herabgesunken, ganz wie bei einem Tier, das sich zum Winterschlaf zusammengerollt hatte, so war ihr Geist noch bei vollem Bewußtsein, wandelte auf dunklen Pfaden und sah Dinge, die einem normalen Menschen unverständlich und bizarr erschienen wären.
    Irgendwann im Laufe des Morgens erwachte sie aus ihrer sonderbaren Starre, aber es schien nur ihr Körper zu sein, der den Weg in die Wirklichkeit zurückfand. Ihr Blick blieb trüb, und die Augen bewegten sich noch immer nicht, sondern lagen wie starre matte Kugeln in den eingesunkenen Höhlen.
    Nur um ihre Lippen spielte ein dünnes, selbstzufriedenes Lächeln.
    Langsam stand sie auf, wandte sich zur Tür und verließ das Zimmer aber erst, nachdem sie einen Moment an der Tür gelauscht und sich davon überzeugt hatte, daß sie allein und niemand auf dem Flur war.
    Niemand wußte wirklich, wer das Zimmer bewohnte: der Portier unten in der Halle glaubte, es an ein frisch verheiratetes Paar vermietet zu haben und das Personal lächelte nur anzüglich, wenn die Frage aufkam, warum seit zwei Tagen niemand das Zimmer verlassen oder auch nur den Zimmerservice gerufen hatte. Und die Fremde wollte, daß es noch eine Weile so blieb.
    Rasch wandte sie sich nach links, ging mit gesenktem Blick und schnellen, weit ausgreifenden Schritten den Korridor entlang und blieb vor der Treppe stehen. Sie zögerte, ging aber dann weiter, als sie Stimmen aus dem Erdgeschoß hörte und wußte, daß der Portier mit neuen Gästen beschäftigt war und ihr nicht mehr als einen flüchtigen Blick schenken würde.
    Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, sich seinen
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