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Der Hexer - NR05 - Die Chrono-Vampire

Der Hexer - NR05 - Die Chrono-Vampire

Titel: Der Hexer - NR05 - Die Chrono-Vampire
Autoren: Verschiedene
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heftigen Bewegung richtete ich mich auf, griff nach dem weißen Tuch und wollte es wieder über das Gesicht des Toten streifen, verhielt dann aber mitten in der Bewegung.
    Das schwarze Drachenkrieger-Gewand des Toten hatte sich geöffnet, so daß ich seinen nackten Brustkorb erkennen konnte.
    Direkt über seinem Herzen war eine Tätowierung. Das Licht reichte nicht aus, sie genau zu erkennen, und so ließ ich mich nach kurzem Zögern abermals auf die Knie sinken, zog ein Streichholz aus der Tasche und riß es an.
    Das flackernde Licht der Flamme offenbarte mir ein winziges, kunstvoll mit blauvioletten Linien in seine Haut tätowiertes Bild. Es war kaum größer als mein Daumennagel, aber von einer Detailtreue, wie ich sie sonst nur auf kunstvoll angefertigten Miniaturen erblickt hatte.
    Es war ein Kreis mit gezacktem Rand, wie eine stilisierte Sonnenscheibe. In seinem Inneren war ein Pferd abgebildet, auf dem zwei nur mit Lendenschurzen bekleidete Männer saßen, beide das Gesicht dem Betrachter zugewandt. Der zuvorderst Sitzende hielt eine Lanze in der hochgereckten Rechten, während sein Hintermann die Hände wie zum Gebet zusammengelegt hatte.
    Das Streichholz war abgebrannt, und die Flamme versengte mir die Fingerspitzen. Ich warf es fort, deckte das Gesicht des Toten wieder zu und stand auf.
    Ich fühlte mich elend. Ich war in der Lage eines Menschen, der tatenlos zusehen muß, wie die Welt, in der er bisher gelebt hatte, Stück für Stück um ihn herum auseinanderbricht. Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich zu begreifen, was das Wort Hilflosigkeit wirklich bedeutete.
    Ich schluckte, um den bitteren Geschmack loszuwerden, der plötzlich auf meiner Zunge war. Fast gegen meinen Willen fand mein Blick das goldgerahmte Bild meines Vaters, das als letztes in einer schier endlosen Reihe von Portraits die Wände zierte.
    Langsam ging ich weiter, blieb auf Armeslänge vor dem überlebensgroßen Portrait stehen und betrachtete die scharfen, asketisch wirkenden Züge des Mannes, den es zeigte.
    Roderick Andara.
    Mein Vater...
    Irgendwie klangen die Worte bitter in meinen Gedanken; seine Züge kamen mir härter vor als die Male, die ich das Bild vorher angesehen hatte, der Ausdruck in seinen dunklen, klaren Augen erbarmungsloser, nein – entschlossener.
    Er war mein Vater gewesen – aber was wußte ich wirklich über ihn? Wenig mehr als seinen Namen. Ich hatte sein Erbe angetreten, beinahe gegen meinen Willen, und ich hatte bisher nicht einmal in Ansätzen begriffen, woraus dieses Erbe bestand.
    Robert Craven – der Hexer.
    Fast hätte ich gelacht. Ich hatte gelernt, ein paar Kunststückchen aufzuführen. Ein bißchen Firlefanz, ein paar Täuschungen, gerade genug, mich auf irgendwelchen langweiligen Stehpartys der besseren Londoner Gesellschaft wichtig zu machen. Einmal, ein einziges Mal, hatte ich die Macht, die mir Andara vererbt hatte, wirklich benutzt.
    Und damit einen Menschen getötet.
    »Ist es das, was du mir vererbt hast, Vater?« fragte ich leise. »Ist das dein Erbe? Tod und Unheil?«
    Natürlich bekam ich keine Antwort. Auch wenn ich mehrmals Kontakt mit dem Geist – oder der Seele oder wie immer man es nennen will – meines verstorbenen Vaters gehabt hatte, so glaubte ich doch nicht im Ernst daran, mich mit einem Bild unterhalten zu können. Aber ich mußte einfach reden, zu irgend jemandem oder auch irgend etwas. Manchmal erleichtert es selbst, mit einem Bild zu sprechen.
    »Oder ist es der Fluch Necrons?« fuhr ich fort.
    »Etwas von beidem, Robert«, sagte eine sanfte Stimme hinter mir.

    * * *

    Ich drehte mich herum und erkannte Rowlfs massige Gestalt wie einen Berg in der Dunkelheit hinter mir.
    »Was weißt du von ihm?« fragte ich.
    »Andara?« Rowlf überlegte einen Moment. »Nicht viel. Ich habe ihn nur einmal gesehen, und da auch nur für ›n paar Augenblicke. Aber Howard hat viel über ihn gesprochen. Ich glaube nicht, daß er ein so harter Mann war, wie du denkst, Robert.«
    »Denke ich das?«
    Rowlf nickte. »Deine Stimme klang sehr bitter gerade. Aber du tust ihm Unrecht. Und dir auch.«
    »Worte«, murmelte ich. »Worte, Rowlf. Sie bringen Priscylla nicht zurück und machen Tornhill und all die anderen nicht wieder lebendig.«
    »Aber dich trifft keine Schuld!« beharrte Rowlf.
    »Ich werde dieses Haus verlassen«, sagte ich. »Sobald... alles vorbei ist.«
    »Vorbei?« Rowlf schüttelte den Kopf. »Es wird nie vorbei sein, Robert. Glaubst du, du könntest deinem Schicksal
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