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Der Hexenschwur: Roman (German Edition)

Der Hexenschwur: Roman (German Edition)

Titel: Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
Autoren: Deana Zinßmeister
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bedenken.
    »Der Krieg kommt näher! Selbst Maria hat es in den Flugschriften gelesen. Wir haben die Möglichkeit, ihm zu entgehen, wenn wir uns durch die Landstriche bewegen, durch die die Truppen bereits gezogen sind.«
    »Das ist Irrsinn!«
    »Irrsinn ist es zu bleiben«, widersprach Johann.
    Doch Clemens schüttelte den Kopf. »Der Krieg wird bald vorbei sein. Seit über sechzehn Jahren wütet er im Reich. Wie lange soll er noch Angst und Schrecken verbreiten? Er hat bereits Zehntausende Opfer gefordert. Menschen verhungern, siechen an der Pest oder anderen Seuchen elendig dahin, und andere werden …« Clemens stockte und schaute erschrocken seinen Freund an, der seinem Blick standhielt.
    Johann ahnte, was Clemens hatte sagen wollen. »Du kannst es laut aussprechen«, forderte er ihn auf, und Clemens führte den Satz zu Ende:
    »… und andere werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil sie für die Not der Menschen verantwortlich gemacht werden.«
    Beide Männer hatten vor vielen Jahren beschlossen, das Wort »Hexenverfolgungen« nicht mehr auszusprechen, um hässliche Erinnerungen zu unterdrücken. Doch Nachrichten, dass Menschen auf Scheiterhaufen verbrannt wurden, kamen aus allen Reichsgebieten, und auch in Westrich schlugen die Flammen der Feuer empor. Der Geruch des verbrannten Fleisches der Opfer, den der Wind mit sich brachte, drang manchmal bis nach Wellingen vor.
    »Niemand – auch keines der Kinder – weiß, dass Franziska damals der Hexerei bezichtigt wurde und wir deshalb aus dem Eichsfeld fliehen mussten. Es liegt so viele Jahre zurück, dass mich der Gedanke daran nicht mehr ängstigt.«
    »Dann ist es gut«, murmelte Clemens und blickte Johann forschend an. Als sein Freund den Blick abwandte, sagte Clemens mit fester Stimme: »Du irrst, wenn du glaubst, dass du auf dem Eichsfeld glücklich werden könntest und alles wieder wie früher wird. Du nimmst deine Schwierigkeiten mit.«
    Johanns Kopf ruckte herum. »Wie meinst du das? Ich habe dir erklärt, dass ich mich nicht vor neuer Verfolgung fürchte. Die haltlosen Vorwürfe gegen Franziska sind längst vergessen. Ich aber kann die Sehnsucht nicht länger unterdrücken, endlich meine Mutter wieder in die Arme zu schließen.«
    Clemens hob beschwichtigend die Hände. Dann widersprach er: »Es ist nicht allein die Sehnsucht nach deiner Mutter und der Heimat, die dich forttreibt. Es ist die Vergangenheit, die dich nicht ruhen lässt. Glaube mir, mein Freund: Auch wenn du fortziehst, du wirst dein Schicksal überallhin mitnehmen.«
    Johann schloss gequält die Augen. Seine Beine zitterten, und er musste sich ins Gras setzen. Clemens legte die Sichel auf den Boden und ging neben ihm in die Hocke. »Weiß deine Frau, was du planst?«
    Johann schüttelte den Kopf.
    »Sie wird nicht mitgehen wollen. Und wenn sie dir nicht folgt, werden auch die Kinder sich weigern mitzukommen«, prophezeite Clemens, während er Grashalme zupfte.
    »Ich weiß«, flüsterte Johann und blickte seinen Freund bekümmert an. Dann sagte er mit nachdrücklicher Stimme: »Ich bin der Herr im Haus, und sie wird sich fügen müssen. Ebenso die Kinder. Es wird nicht leicht werden, doch es gibt keine andere Möglichkeit. Wenn wir bleiben, bedeutet das schon bald das Ende meiner Ehe und das Ende unserer Familie. Ich habe kaum noch Kraft, das alles zu ertragen. Hier werde ich ständig daran erinnert.«
    Clemens wusste, dass Johann nicht übertrieb. »Ich möchte nicht in deiner Haut stecken«, sagte er ehrlich und richtete sich auf. »Ich muss zurück. Kommst du mit?«
    Johann verneinte und streckte sich im Gras aus.
    Clemens wartete einen Augenblick. Doch als Johann die Arme hinter dem Kopf verschränkte und die Augen schloss, nahm er achselzuckend die Sichel auf und sagte: »Ich werde mit Christel und Georg zu Regina gehen, um Abschied zu nehmen.«
    Als Johann sicher war, dass Clemens ihn nicht mehr sehen konnte, stand er auf. Der Boden zwischen den Grashalmen fühlte sich feucht und kühl an, und seine Hose war nass geworden. Plötzlich fröstelte es ihn so sehr, dass er Gänsehaut bekam. Es war Mitte Oktober, und die Tage wurden kürzer und kühler. Johann stützte sich an einem Zaunpfosten ab und streckte sein Hinterteil der Sonne zum Trocknen entgegen. Er ließ seinen Blick über den Hain schweifen. Das Laub zeigte sich um diese Jahreszeit in unterschiedlichen Farben, von Ackerbraun, Hell- und Dunkelrot bis hin zu abgestuften Rosttönen waren die warmen Herbstfarben vertreten.
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