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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen
Autoren: Edmund de Waal
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eingelegte Pflaumen, Fisch, feinsäuberlich auf Zinnoberrot für den Lunch angerichtet. Doch mit Jiro und seinen japanischen Freunden gab es abends Chateaubriand in einem Restaurant in der Nähe der Ginza-Kreuzung, wo die neuen Neonreklamen flimmerten: Toshiba, Sony, Honda. Und dann ein Film von Teshigahara und zuhause Whisky; die Vitrine mit den Netsuke steht offen, auf dem Plattenspieler läuft Stan Getz. Iggies und Jiros Leben spielte sich in einem anderen echten Japan ab.
    Nach zwanzig Jahren Fehlstarts und vergleichsweise harten Lebensbedingungen in Paris, New York, Hollywood und bei der Armee lebte Iggie nun schon länger in Tokio als in Wien: Er gehörte allmählich dazu. Er war kompetent, er machte etwas aus sich, verdiente genug, um sich und seine Freunde zu erhalten. Er unterstützte seine Geschwister, seine Neffen und Nichten.
    Mitte der 1960er Jahre ist Rudolf verheiratet und hat fünf kleine Kinder. Gisela geht es in Mexiko sehr gut. Und Elisabeth in Tunbridge Wells, die in ihrem schlichten Mantel den Sonntagsgottesdienst um halb zehn in der Pfarrkirche besucht, scheint durch und durch anglisiert. Henk ist in Rente und liest hoffnungsfroh die Financial Times. Ihre beiden Söhne machen sich gut. Mein Vater ist Priester der anglikanischen Kirche geworden, hat die Tochter eines Vikars geheiratet, eine Historikerin, und ist Universitätskaplan in Nottingham. Sie haben vier Söhne, mich eingeschlossen. Mein Onkel Constant Hendrik (Henry), erfolgreicher Anwalt in London, ist ins Parliamentary Law Office eingetreten, verheiratet und Vater von zwei Söhnen. Der Reverend Victor de Waal und sein Bruder Henry sind Engländer durch und durch, sprechen zuhause Englisch, und nur noch am leicht gerollten R erkennt man ihre Herkunft vom Kontinent.
    Iggie hatte sich in einen Geschäftsmann verwandelt, jene Art Mann, sagte er einmal, es rührte mich, den sein Vater erkannt hätte. Vielleicht weil ich nicht mit Geld umgehen kann, sah ich ihn ähnlich wie Viktor, den großen Geschäftsmann, der sich ein wenig hinter seinem Schreibtisch versteckte, verstohlen einen Gedichtband zwischen den Akten verbarg und auf seine Erlösung am Abend wartete. Tatsächlich aber erwies sich Iggie, anders als sein Vater, der eine Reihe spektakulärer Misserfolge zu verantworten hatte, als geschickt im Umgang mit Geld. »Es genügt wohl zu erwähnen«, tippt er in einem 1964 abgesandten, »privat und vertraulich« gestempelten Brief an den Generaldirektor einer Schweizer Bank in Zürich - er verwendete ihn als Lesezeichen in »Unser Mann in Havanna« -, »dass ich in Japan bei Null begonnen und über die Jahre eine Organisation mit einem Jahresumsatz von über 100 Millionen Yen aufgebaut habe. Wir unterhalten zwei Büros in Japan, in Tokio und Osaka, beschäftigen 45 Angestellte, ich bin Vizepräsident und Geschäftsführer für Japan.« Hundert Millionen Yen war eine Menge Geld.
    So wurde Iggie doch noch Bankier, hundert Jahre, nachdem sein Großvater Ignaz die Bank nahe der Schottengasse in Wien gegründet hatte. Er wurde Repräsentant jener Schweizer Bank in Tokio - das Nonplusultra der Banken, erklärte er mir. Er legte sich ein größeres Büro zu, diesmal mit einer Sekretärin hinter einem Tisch am Empfang, dazu ein Ikebana-Gesteck mit Kiefernzweig und Iris. Von seinen Fenstern im sechsten Stock blickte er nach Westen über die klotzige neue Tokioter Stadtlandschaft mit ihren Antennen und Kränen, Richtung Osten zu den Kiefern am Kaiserpalast und hinunter zum Strom der gelben Taxis in Otemachi. Er wurde er selbst. 1964 war er achtundfünfzig, Krawatte mit festem Knoten, dunkler Anzug, eine Hand in der Tasche, wie auf seinem Maturafoto aus Wien. Sein Haar wurde schütterer, aber Iggie besaß genug Einsicht, um es nicht quer über den Kopf zu frisieren.
    Jiro, ein gutaussehender Achtunddreißigjähriger, hatte einen neuen Beruf: Er arbeitete für CBS und handelte Lizenzen für amerikanische Fernsehprogramme in Japan aus. »Und«, erzählte Jiro, »ich war dafür verantwortlich, dass das Wiener Neujahrskonzert in Japan bei NHK ausgestrahlt wurde. Keiner wollte es! Und dann die überschwenglichen Reaktionen! Du weißt, wie wild die Japaner auf Wiener Musik, auf Strauß sind. Wenn Iggie im Taxi gefragt wurde, woher er komme, und er sagte, Wien, Austria, fingen sie den Donauwalzer zu trällern an.«
    1970 kaufte das Paar ein Grundstück auf der Ito-Halbinsel, etwa hundert Kilometer südlich von Tokio, genug Platz für ein Landhaus. Auf einer
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