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Der Hase aus Amerika und andere Beziehungskisten (German Edition)

Der Hase aus Amerika und andere Beziehungskisten (German Edition)

Titel: Der Hase aus Amerika und andere Beziehungskisten (German Edition)
Autoren: Nicole Schröter
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Sie fand den roten
Pullover, den sie sich in der Woche vor Johns Auszug gekauft hatte, und
entfernte das Preisschild. Als sie nach passender Unterwäsche suchte, hielt sie
plötzlich den wunderschönen Spitzen-BH in Händen, den John ihr vor drei Jahren
zu Weihnachten geschenkt hatte. Bis heute hatte sie keine Gelegenheit gefunden,
ihn ihm vorzuführen. Sie hatte sich gezwungen gefühlt, ihn zu tragen, und es
deshalb vermieden. John musste verletzt gewesen sein, aber gesagt hatte er
nichts. Kurz darauf fand sie auch das passende kleine Höschen. Lilly trug den
Wäschestapel ins Bad, stellte das Wasser ab und legte sich in die Wanne.
     
    „Wie findet man auf die Schnelle einen Mann?“ überlegte
Lilly, während sie sich die Beine rasierte. „Ich kann nicht einfach allein in
eine Kneipe gehen. Das traue ich mich nicht.“ Als sie den Kopf ins Wasser
tauchte, um den Schaum aus ihren Haaren zu spülen, kam ihr die Idee. „Das
Internet! Ich suche mir einen Mann im Internet. Das ist, wie ein Buch zu
kaufen: Ich kann in aller Ruhe etwas Passendes aussuchen. Niemand merkt es und
ich bin zu keinem Kauf verpflichtet.“ Etwas skeptisch war Lilly schon. Es kam
ihr so künstlich, so ohne Gefühl vor. „Na ja,“ dachte sie. „Wenn der Richtige
dabei ist, wird sich das Gefühl schon einstellen. So machen es die anderen
schließlich auch, heutzutage.“
     
    Lilly cremte sich ein, zog sich an und ging zurück ins
Wohnzimmer. Inzwischen war die Sonne aufgegangen. Müde war sie noch immer
nicht. Durch ihre Arbeit im Krankenhaus war sie daran gewöhnt, phasenweise
nachts zu arbeiten. Gerade hatte sie eine Woche Nachtschicht gehabt, nun hatte
sie drei Tage frei. Wahrscheinlich hatte ihr Körper sich noch nicht wieder
umgestellt.
     
    Das Notebook lag in der Schublade ihrer Kommode. Den
Schreibtisch hatte John mitgenommen. Also setzte sie sich mit dem Computer auf
das Sofa und platzierte ihn auf ihren Knien.
    Sie wusste nicht, wie sie beginnen sollte. Noch nie hatte
sie etwas so Verwegenes getan. Sie kam sich vor, wie eine Fremdgängerin, als
täte sie etwas Verbotenes. Aber John war lange fort. Er hatte eine neue Frau
gefunden. Lilly war also frei zu tun, was immer ihr beliebte. Sie musste sich
nur selbst davon überzeugen.
     
    Nach einigem Suchen fand sie eine interessante
Vermittlungsagentur. Sie erschien ihr seriös und frauenfreundlich. Sogar ein
paar Tipps standen dort vermerkt. Die Frauen sollen sich eine kostenlose
E-Mail-Adresse, aus der ihr wirklicher Name nicht hervor ginge, einrichten.
Niemals sollen die Frauen sich beim ersten Treffen mit den Männern zu Hause
treffen. Es sei unbedingt ein neutraler Ort zu wählen. Und vor allem war die
Mitgliedschaft für Frauen kostenlos. Sicherer fühlte Lilly sich auch durch die
Tatsache, dass sie zwar Mitglied sein konnte, aber nur auf ihren ausdrücklichen
Wunsch hin selbst für die Männer sichtbar gemacht werden würde. So konnte sie
tatsächlich kostenlos und ungesehen auf Männerschau gehen.
     
    In ihrer Vorstellung waren Männer, die sich auf derartigen
Seiten anboten immer auf irgendeine Art minderbemittelt gewesen: zu klein, zu
dick, zu schüchtern. Aber Lilly wurde eines Besseren belehrt. Sicher, ein paar
merkwürdig dreinblickende Gestalten waren schon dabei, aber die Mehrzahl der
Männer sah gepflegt, anständig, ja geradezu normal aus.
     
    Manche schrieben von sich: ihren Berufen, ihren Hobbys.
Andere erwähnten auch ihre persönlichen Vorlieben: wie ihre Traumfrau aussehen
solle, wie alt sie sein dürfe. Bis auf wenige Ausnahmen hatten alle durchaus
realistische Vorstellungen von dem, was sie sich durch ihre Anzeige im Internet
erhofften. Das entspannte Lilly. Zur Feier des Tages öffnete sie sich eine
Flasche Sekt. Es hatte schon ewig keinen Anlass mehr gegeben, eine zu öffnen.
Lilly würde wieder Schwung in ihr Leben bringen.
     
    Nachdem Lilly bis zum späten Vormittag auf heimlicher
Männerschau gewesen, und die Sektflasche längst zur Neige gegangen war, hatte
sie leicht beschwipst überlegt, ob es nicht noch ein zweites Fläschchen
irgendwo in der Küche gab. Sie fühlte sich leicht und beschwingt, schön und
begehrenswert. Es war ihr, als würden all diese Männer, die ihr dort vom
Computerbildschirm aus zulächelten, greifbar nah, sofort verfügbar, voller
Erwartung sein, sie, Lilly kennenzulernen, sein. Sie wusste, dass dies eine
Illusion war. Dennoch gab es ihr ein gutes Gefühl. Und ein solches hatte sie
dringend nötig.
     
    Es war schon fast
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