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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd
Autoren: Emile Zola
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sehen,
was für ein Gesicht sie dazu machten. Doch das Entsetzen ergriff
sie wieder: man werde sie ins Gefängnis werfen: es sei besser,
alles zu verschlucken. Mit erstickter Stimme wiederholte sie
zwischen zwei Anfällen:
    Diese Schweinekerle! Ist es erlaubt, einem eine solche
Jammergeschichte auf den Hals zu laden! … O, mein Gott, ich
muß sterben!
    Mit ihren krampfhaft gekrümmten Händen preßte sie ihre
Hinterbacken noch mehr, unterdrückte ihre Schreie und wiegte sich
in ihrer jammervollen Häßlichkeit. Nichts regte sich rings um sie
her. Alles schnarchte; sie hörte das laute Gesumme Juliens, während
es bei Lisa ein Pfeifen, die schrille Musik einer Pickelflöte
war.
    Es schlug vier Uhr, als sie mit einem Male glaubte, ihr Bauch
wolle auseinandergehen. Inmitten einer Wehe gab es einen Riß, das
Wasser floß herab und durchnäßte ihre Strümpfe. Sie blieb einen
Augenblick unbeweglich, entsetzt, erstarrt bei dem Gedanken, daß
sie sich vielleicht auf dieser Seite entleere. Vielleicht war sie
gar nicht schwanger; und eine andere Krankheit fürchtend,
betrachtete sie sich; sie wollte sehen, ob nicht alles Blut ihres
Körpers dahinfließe. Doch sie fühlte jetzt eine Erleichterung und
setzte sich für einige Minuten auf ihren Koffer. Die besudelte
Kammer verursachte ihr einige Unruhe; die Kerze drohte zu
verlöschen. Als sie keinen Schritt mehr gehen konnte und das Ende
herannahen fühlte, fand sie noch die Kraft, eine runde
Wachsleinwand auf dem Bette auszubreiten, die Frau Josserand ihr
gegeben hatte, damit sie sie vor ihrem Waschtische ausbreite. Kaum
hatte sie sich wieder hingelegt, als die eigentliche Geburtsarbeit
begann.
    Fast anderthalb Stunden währten die Wehen mit immer zunehmender
Heftigkeit. Die inneren Krämpfen hatten aufgehört; sie selbst drängte jetzt mit allen Muskeln
ihres Bauches und ihrer Lenden in dem Bedürfnis, sich von der
unerträglichen Last zu befreien, die ihren Leib bedrückte. Noch
zweimal stellten sich trügerische Anzeichen ein, die sie nötigten
aufzustehen und mit fieberhaft irrender Hand den Topf zu suchen;
das zweitemal war sie schier auf der Erde liegen geblieben. Bei
jeder neuen Anstrengung ward sie von einem Schauer geschüttelt, ihr
Antlitz wurde glühend, ihr Hals bedeckte sich mit Schweiß, während
sie in die Bettücher biß, um ihre Klage zu ersticken. Wenn sie die
Anstrengung gemacht hatte, stammelte sie, als habe sie mit jemandem
geredet:
    Es ist nicht möglich … Es kommt nicht heraus … Es ist
zu dick …
    Mit zurückgebeugtem Halse und ausgespreizten Beinen lag sie da
und klammerte sich mit beiden Händen an das Eisenbett, das sie mit
ihren Stößen erschütterte. Es war glücklicherweise eine schöne
Entbindung, der Kopf voran. Von Zeit zu Zeit schien der Kopf, der
schon zum Vorschein gekommen war, wieder zurücktreten zu wollen,
zurückgedrängt durch die Elastizität der zum Reißen gespannten
Gewebe; und furchtbare Krämpfe umschlangen diesen Kopf bei jeder
Wiederaufnahme der Geburtsarbeit, die großen Wehen schlossen ihn
ein wie ein eiserner Gürtel. Endlich krachten die Knochen, alles in
ihr schien zu brechen und zu reißen; sie hatte die entsetzliche
Empfindung, als würden Hinterteil und Bauch ihr bersten und seien
ein einziges Loch geworden, durch das ihr Leben dahin strömte; das
Kind fiel auf das Bett, zwischen ihre Schenkel, inmitten einer
Pfütze von Exkrementen und blutigem Schleim.
    Sie hatte einen lauten Schrei ausgestoßen, den wütenden und
triumphierenden Schrei der Mütter. Sogleich begann man in den
Nachbarzimmern sich zu regen; schläfrige Stimmen sagten: »Was ist's? … wird jemand
gemordet? … wird einer Gewalt angetan? … Träumt doch
nicht so laut!« Erschreckt schob sich Adele das Laken zwischen die
Zähne; sie preßte die Beine zusammen und zog die Decke herauf, um
das Kind zu verhüllen, das leise wimmerte wie ein Kätzchen. Doch
bald hörte sie wieder das Schnarchen Julies, die sich zur Wand
umgekehrt hatte; auch Lisa war wieder eingeschlafen und pfiff jetzt
nicht mehr. Sie empfand jetzt eine Viertelstunde lang eine
unermeßliche Erleichterung, ein unsagbares Gefühl von Ruhe und
Linderung. Sie war wie tot und genoß die Süßigkeit des
Nichtseins.
    Dann stellten die Leibschmerzen sich wieder ein. Ein Angstgefühl
störte sie auf: wird sie vielleicht ein zweites haben? Das
schlimmste war, daß sie, die Augen aufschlagend, sich völlig im
Finstern befand. Sie besaß nicht das kleinste Stümpfchen Kerze;
dabei ganz
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