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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl
Autoren: Jules Verne
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herrschenden Finsterniß überhaupt etwas zu sehen, überzeugte sich aber schließlich doch, daß der ersehnte Zeitpunkt, die Grotte zu verlassen, endlich gekommen sei.
    Miß Campbell hatte auch jetzt ihre Besinnung nicht wieder erlangt. Olivier Sinclair hielt ihren gänzlich leblosen Körper in den Atmen; vorsichtig schlich er aus dem Armstuhl Fingal’s hervor und begann dem schmalen Steige zu folgen, dessen Eisengeländer von den wüthenden Wellen verbogen, zum Theil sogar losgerissen war.
    Wenn ein Wasserberg ihn noch zu erreichen drohte, blieb er still stehen oder wich einen Schritt zurück.
    Noch zuletzt, als Olivier Sinclair dem Ausgange der Höhle ganz nahe war, stürzte noch einmal eine Wassermasse über ihn hinweg… Er fürchtete, mit Miß Campbell an die Wand gedrückt und dann in den Abgrund gerissen zu werden, der sich unter seinen Füßen öffnen mußte….
    Mit dem letzten Aufgebot aller Kräfte leistete er Widerstand, und als das Wasser zurückströmte, benützte er den Augenblick, schnell aus der Grotte zu entkommen.
    Nach einigen Augenblicken hatte er den scharfen Winkel des Ufers erreicht, wo ihn die Brüder Melvill, Patridge und Frau Beß, welche auch herbeigeeilt war, schon die ganze Nacht erwarteten.
    Er und sie waren gerettet.
    Jetzt verließ aber auch Olivier Sinclair die geistige und leibliche Energie, die er zuletzt fast künstlich aufrecht erhalten hatte, und nachdem er noch Miß Campbell in die Arme der Frau Beß gelegt, sank er bewegungslos am Fuße der Felsen zusammen.
    Ohne seinen Muth und seine Opferwilligkeit wäre Miß Campbell nicht lebend aus der Fingalshöhle herausgekommen.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
Der Grüne Strahl.
    Unter dem Einflusse der frischen Luft schlug Miß Campbell einige Minuten später in der Clam Shell-Grotte die Augen wieder auf, als erwache sie aus einem Traum, den das Bild Olivier Sinclair’s in allen seinen Phasen belebt und erfüllt hatte. Der Gefahren, denen sie in Folge ihrer Unklugheit ausgesetzt gewesen war, erinnerte sie sich kaum mehr.
    Sprechen konnte sie noch nicht; beim Anblick Olivier Sinclair’s aber traten ihr die Thränen der Dankbarkeit in die Augen und sie streckte ihrem Retter die Hände entgegen.
    Bruder Sam und Bruder Sib preßten, keines Wortes mächtig, den jungen Mann in die Arme. Frau Beß machte ihm eine Verbeugung nach der andern, und Patridge schien nicht übel Lust zu haben, ihn an’s Herz zu drücken. Dann übermannte jedoch Alle die Müdigkeit, und nachdem sie noch die durch das Meer wie durch den Himmel durchnäßten Kleider gewechselt, schliefen sie ein und der letzte Theil der Nacht verlief in ungestörtem Frieden.
    Der Eindruck freilich, den die Betheiligten, wie die Zeugen jener Scene, welche sich in der Fingalshöhle abspielte, empfangen hatten, sollte ihnen niemals mehr aus dem Gedächniß entschwinden.
    Während Miß Campbell am folgenden Tage noch auf dem für sie reservirten Lager im Hintergrunde der Clam Shell-Grotte ruhte, gingen die Brüder Melvill Arm in Arm auf dem benachbarten Theile des Uferdammes hin und her. Sie sprachen zwar nicht, hatten aber eigentlich auch gar nicht das Bedürfniß, ihre ganz gleichen Gedanken in Worte zu übersetzen. Beide bewegten in genau demselben Augenblicke den Kopf von oben nach unten, wenn sie etwas bestätigen, und von rechts nach links, wenn sie etwas verneinen wollten. Und was konnten sie zu bestätigen haben, außer der Thatsache, daß Olivier Sinclair sein Leben daran gewagt hatte, das unvorsichtige, junge Mädchen zu retten? Und was verneinten sie? Daß ihre früheren Pläne jetzt noch erfüllbar seien. Bei dieser stummen Unterhaltung sagten sie sich auch mancherlei, was Bruder Sam und Bruder Sib in der nächsten Zeit würden eintreffen sehen. In ihren Augen war Olivier nicht mehr Olivier. Er war jetzt kein Geringerer als Arnim, der hervorragendste Held der gaëlischen Heldensage.
    Olivier Sinclair war jetzt eine Beute sehr natürlicher Ueberreizung. Ein gewisses Zartgefühl drängte ihn, sich von den Andern fern zu halten. Er fühlte sich beklommen gegenüber den Brüdern Melvill, als ob er durch seine Gegenwart andeutete, daß er auf Belohnung für seine Opferwilligkeit warte.
    So verließ er schon frühzeitig die Clam Shell-Grotte und lustwandelte allein auf dem Plateau der Insel.
    Seine Gedanken eilten dabei freilich ganz von selbst zu Miß Campbell. An die Gefahren, denen er Trotz geboten und die er mit ihr getheilt hatte, dachte er gewiß nicht mehr; in seiner
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