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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Autoren: Gottfried Keller
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Gauen sowie aus dem Französischen und Deutschen nach Basel trugen; die Stadt selbst aber war ganz mit Grün bedeckt und mit rot und weißen Tüchern, Flaggen und Fahnen, die von allen Türmen wehten. Denn es wurde heute die vierhundertjährige Jubelfeier der Schlacht bei St. Jakob an der Birs begangen, wo tausend Eidgenossen zehntausend Feinde totschlugen und deren vierzigtausend von den Landesgrenzen abhielten durch den eigenen Opfertod, während im Schoße des Vaterlandes der Bürgerkrieg wütete. Am gleichen Tage ward auch das große eidgenössische Schützenfest eröffnet, welches alle zwei Jahre wiederkehrt und dazumal in Basel den höchsten bisherigen Glanz und Gehalt erreichte, da es gegenüber der alten kraftlosen Tagsatzung das politische Rendezvous des Volkslebens war in einer gärenden Umwandlungszeit.
    So stieß Heinrich gleich beim Eintritt ins Land mitten auf seine rauschende und grollende Bewegung, und ohne auszuruhen, ging er mit den hunderttausend Zuschauern auf das Schlachtfeld hinaus und wieder zurück in die reiche Stadt, welche mit ihren zahlreichen silbernen und goldenen Ehrengefäßen den Wirt machte. Doch mit dem Mittage räumte die geschichtliche Feier der Vergangenheit der treibenden Gegenwart den Platz ein, und unter der großen Speisehütte des Schießplatzes aßen schon an diesem ersten Mittag fünftausend waffenkundige Männer zusammen, indessen am andern Ende des Platzes auf eine unabsehbare Scheibenreihe ein Rottenfeuer eröffnet wurde, welches acht Tage lang anhielt, ohne einen Augenblick aufzuhören. Dies war kein blindes Knattern wie von einem Regiment Soldaten, sondern zu jedem Schusse gehörte ein wohlzielender Mann mit hellen Augen, der in einem guten Rocke steckte, seiner Glieder mächtig war und wußte, was er wollte.
    Inmitten der hölzernen Feststadt, deren Ordnung, Gebrauch und Art trotz aller Luftigkeit herkömmlich und festgestellt war und ihre eigene Architektur erzeugt hatte, ragten drei monumentale Zeichen aus dem Wogen der Völkerschaft, die das große Viereck ausfüllte. Ganz in der Mitte die ungeheure grüne Tanne, aus deren Stamm ein vielröhriger Brunnen sein lebendiges Wasser in eine weite Schale goß. In einiger Entfernung davon stand die Fahnenburg, auf welche die Fahnen der stündlich ankommenden Schützengesellschaften gesteckt und unter deren Bogen dieselben begrüßt und verabschiedet und die letzten Handschläge, Vorsätze und Hoffnungen getauscht wurden. Auf der anderen Seite der Tanne war der Gabensaal, welcher die Preise und Geschenke enthielt aus dem ganzen Lande sowie von allen Orten diesseits und jenseits des Ozeans, vom Gestade des Mittelmeeres, von überall, wo nur eine kleine Zahl wanderlustiger, erwerbsfroher Schweizer sich aufhielt oder die Jugend auf fernen Schulen weilte. Der Gesamtwert erreichte diesmal eine größere Höhe als früher je, und das Silbergerät, die Waffen und andere gute Dinge waren massenhaft aufgetürmt.
    Während nun in den Stuben der Doktrinäre, in den Sälen der Staatsleute vom alten Metier und in der Halle des Bundes von Anno funfzehn das politische Fortgedeihen stockte und nichts anzufangen war, trieb und schoß dasselbe in mächtigen Keimen auf diesem brausenden, tosenden Plan, über dem die vielen Fahnen rauschten. Das Land war mitten in dem Kampfe und in der Mauser begriffen, welche mit dem Umwandlungsprozesse eines jahrhundertealten Staatenbundes in einen Bundesstaat abschloß und ein durchaus denkwürdiger, in sich selbst bedingter organischer Prozeß war, der in seiner Mannigfaltigkeit, Vielseitigkeit, in seinen wohlproportionierten Verhältnissen und in seinem erschöpfenden Wesen die äußere Kleinheit des Landes vergessen ließ und sich schlechtweg lehrreich und erbaulich darstellte, da an sich nichts klein und nichts groß ist und ein zellenreicher summender und wohlbewaffneter Bienenkorb bedeutsamer anzusehen ist als ein mächtiger Sandhaufen.
    Das erste Jahrzehent, welches Anno dreißig die Fortbildung zur freien Selbstbestimmung oder zu einem jederzeit berechtigten Dasein, oder wie man solche Dinge benennen mag, wieder aufgenommen hatte, war unzureichend und flach verlaufen, weil die humanistischen Kräfte aus der Schule des vorigen Jahrhunderts, die den Anfang noch bewirkt, endlich verklungen waren, ehe ein ausreichendes Neues reif geworden, das für die ausdauernde Einzelarbeit zweckmäßig und rechtlich, in seinen Trägern frisch und anständig sich darstellte. In die Lücke, welche die Stockung
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