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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Autoren: Gottfried Keller
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fortzuleben fähig ist, da wandelte ihn die feurige Lust an, sich als der einzelne Mann, als der widerspiegelnde Teil vom Ganzen zu diesem Kampfe zu gesellen und mitten in demselben die letzte Hand an sich zu legen und sich mit regen Kräften zurechtzuschmieden zum tüchtigen und lebendigen Einzelmann, der mit ratet und mit tatet und rüstig darauf aus ist, das edle Wild der Mehrheit erjagen zu helfen, von der er selbst ein Teil ist und die ihm deswegen doch nicht teurer ist als die Minderheit, die er besiegt, weil diese von gleichem Fleisch und Blut ist hinwieder mit der Mehrheit.
    »Aber die Mehrheit«, rief er vor sich her, »ist die einzige wirkliche und notwendige Macht im Lande, so greifbar und fühlbar wie die körperliche Natur selbst, an die wir gefesselt sind. Sie ist der einzig untrügliche Halt, immer jung und immer gleich mächtig; daher gilt es, unvermerkt sie vernünftig und klar zu machen, wo sie es nicht ist. Dies ist das höchste und schönste Ziel. Weil sie notwendig und unausweichlich ist, so kehren sich die übermütigen und verkehrten Köpfe aller Extreme gegen sie in unvermögender Wut, indessen sie stets abschließt und selbst den Unterlegenen sicher und beruhigt macht, während ihr ewig jugendlicher Reiz ihn zu neuem Ringen mit ihr lockt und so sein geistiges Leben erhält und nährt. Sie ist immer liebenswürdig und wünschbar, und selbst wenn sie irrt, hilft die gemeine Verantwortlichkeit den Schaden ertragen. Wenn sie den Irrtum erkennt, so ist das Erwachen aus demselben ein frischer Maimorgen und gleicht dem Schönsten und Anmutigsten, was es gibt. Sie läßt es sich nicht einfallen, sich stark zu schämen, ja die allgemein verbreitete Heiterkeit läßt den begangenen Fehltritt kaum ungeschehen wünschen, da er ihre Erfahrung bereichert, diese Freude hervorgerufen hat und durch sein schwindendes Dunkel das Licht erst recht hell und fröhlich erscheinen läßt.
    Sie ist die reizende Aufgabe, an welcher sich ihr einzelner messen kann, und indem er dies tut, wird er erst zum ganzen Mann, und es tritt eine wundersame Wechselwirkung ein zwischen dem Ganzen und seinem lebendigen Teile. Mit großen Augen beschaut sich erst die Menge den einzelnen, der ihr etwas vorsagen will, und dieser, mutvoll ausharrend, kehrt sein bestes Wesen heraus, um zu siegen. Er denke aber nicht, ihr Meister zu sein; denn vor ihm sind andere dagewesen, nach ihm werden andere kommen, und jeder wurde von der Menge geboren; er ist ein Teil von ihr, welchen sie sich gegenüberstellt, um mit ihm, ihrem Kinde und Eigentum, ein erbauliches Selbstgespräch zu führen. Jede wahre Volksrede ist nur ein Monolog, den das Volk selber hält. Glücklich aber, wer in seinem Lande ein Spiegel seines Volkes sein kann, der nichts widerspiegelt als dies Volk, indessen dieses selbst nur ein kleiner heller Spiegel der weiten lebendigen Welt ist!«

Fünfzehntes Kapitel
    Jetzt war er auf dem Berge angekommen, der gegenüber der Stadt lag, und er sah plötzlich deren Linden hoch in den Himmel tauchen und die goldenen Kronen der Münstertürme in der Abendsonne glänzen. Weithin lag der See gebreitet mit seinen blauen Wassern, der grüne Fluß strömte ruhig aus demselben durch die Stadt hin, und Heinrich fand es in seiner Freude rührend und höchst zuverlässig, daß der Fluß während der sieben Jahre auch nicht einen Augenblick zu strömen aufgehört habe. Aber seine Augen hefteten sich sogleich wieder auf die goldene Abendstadt und entdeckten eine Menge neuer Häuser sowie eine viel erweiterte Ausdehnung am See und am Flusse hin. Nur das alte dunkle Gemäuer mit dem Kirchhof dicht zu seinen Füßen diesseits des Flusses war noch dasselbe, und das Totenglöcklein erklang traurig in demselben, während ein Sarg über die Brücke getragen wurde, welchem ein langer zahlreicher Trauerzug folgte, wie wenn ein Unbescholtener begraben wird, der lange an einem Orte gewohnt hat. Eine kleine Weile sah er dem langsam gehenden Zuge neugierig zu, bis derselbe an dem Berge emporzusteigen begann; dann stieg er aber den steilen Staffelberg hinab, von dem ihm geträumt, daß er eine Kristalltreppe wäre, und machte sich dem Kirchhof zu, der nun von den Leuten angefüllt war; denn er wollte, indem er im Vorbeigehen dem Begräbnis beiwohnte, gleich zum Gruße an die Vaterstadt eine gesellschaftliche Pflicht erfüllen und gedachte auch Dortchens, welche die Toten so sehr bedauerte, die vergehen und für immer aus der Welt scheiden müssen.
    Er trat mit den
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