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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
Autoren: Cheryl Strayed
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wir gewesen waren, als wir sie sahen, und dann über die Strecke, die noch vor uns lag.
    »Du musst mir Lisas Nummer geben, damit wir in Portland etwas zusammen unternehmen können«, sagte er. »Wenn ich mit dem Trail fertig bin, werde ich nämlich auch dort leben.«
    »Unbedingt! Das machen wir«, erwiderte ich.
    »Auf jeden Fall«, sagte er und sah mich auf diese gefühlvolle Weise an, bei der mir ganz anders wurde, obwohl mir klar war, dass ich ihn nicht anfassen würde, so gerne ich es auch getan hätte und obwohl ich ihn tausendmal mehr mochte als viele Männer, mit denen ich geschlafen hatte. Aber in diesem Augenblick war das für mich so weit weg wie der Mond. Und nicht nur, weil er jünger als ich war oder weil zwei Freunde von ihm neben uns lagen. Sondern weil es mir ausnahmsweise einmal genügte und ich mich auch wohl dabei fühlte, einfach nur keusch und brav neben einem netten, lieben, starken, intelligenten, sexy Mann zu liegen, der mir wahrscheinlich nie etwas anderes sein sollte als ein Freund. Ausnahmsweise einmal sehnte ich mich nicht nach mehr. Ausnahmsweise einmal dröhnte nicht der Satz von der Frau mit einem Loch im Herzen in meinem Kopf. Dieser Satz existierte für mich nicht einmal mehr.
    »Ich freue mich wirklich, dich kennengelernt zu haben«, sagte ich.
    »Ich auch«, erwiderte Rick. »Wer würde sich nicht freuen, die Königin des PCT kennenzulernen?«
    Ich lächelte ihn an und blickte, mir des warmen Körpers an meiner Seite sehr bewusst, wieder durch die kleine Scheibe zum Mond. So lagen wir nebeneinander da und schwiegen.
    »Sehr schön«, sagte Rick nach einer Weile. »Sehr schön«, wiederholte er mit mehr Nachdruck als beim ersten Mal.
    »Was?«, fragte ich, obwohl ich es wusste, und sah ihn an.
    »Alles«, antwortete er.
    Und das stimmte.

19 –
Der Traum einer
gemeinsamen Sprache
    Am nächsten Morgen war der Himmel strahlend blau. Der Olallie Lake glitzerte in der Sonne, perfekt gerahmt vom Mount Jefferson im Süden und dem Olallie Butte im Norden. Ich saß auf einem der Picknicktische in der Nähe der Ranger-Station und packte das Monster für meine letzte Etappe. Die drei jungen Draufgänger waren im Morgengrauen aufgebrochen, denn sie hatten es eilig, nach Kanada zu kommen, bevor die High Cascades im Bundesstaat Washington eingeschneit waren, aber ich wanderte ja nicht so weit. Ich konnte mir Zeit lassen.
    Guy erschien mit einem Päckchen in der Hand und riss mich aus meiner kontemplativen Trance. »Ein Glück«, sagte er, wieder nüchtern, »dass ich Sie noch erwischt habe, bevor Sie losziehen. Das ist gerade gekommen.«
    Ich nahm ihm das Päckchen ab und warf einen Blick auf den Absender. Es war von meiner guten Freundin Gretchen.
    »Danke für alles«, sagte ich zu Guy, als er wieder ging. »Für die Drinks neulich abends und die Gastfreundschaft.«
    »Passen Sie da draußen auf sich auf«, sagte er und verschwand hinter der Hütte. Ich riss das Päckchen auf und schnappte nach Luft, als ich sah, was es enthielt: ein Dutzend Pralinen, eingewickelt in Glitzerpapier, und eine Flasche Rotwein. Ein paar Pralinen aß ich sofort, während ich darüber nachdachte, was ich mit dem Wein anfangen sollte. So gern ich ihn auch am Abend auf dem Trail getrunken hätte, so hatte ich doch keine Lust, die leere Flasche den ganzen Weg bis zur Timberline Lodge mitzuschleppen. Ich packte meine letzten Sachen zusammen, nahm den Wein und das leere Päckchen und machte mich auf den Weg zur Ranger-Station.
    »Cheryl!«, dröhnte eine Stimme, und ich drehte mich um.
    »Na bitte! Ich habe dich eingeholt! Ich habe dich eingeholt! «,rief ein Mann und kam auf mich zu. Ich war so verdutzt, dass ich das Päckchen ins Gras fallen ließ. Unterdessen reckte der Mann die Faust und stieß einen fröhlichen Jauchzer aus, der mir bekannt vorkam, den ich aber nicht einordnen konnte. Er war jung, bärtig und braungebrannt, gegenüber unserer letzten Begegnung verändert und doch noch derselbe. »Cheryl!«, rief er wieder und riss mich praktisch in eine Umarmung.
    Alles lief wie in Zeitlupe ab, und erst, als er vollends die Arme um mich geschlungen hatte, fiel bei mir der Groschen, und ich rief: »DOUG!«
    »Doug, Doug, Doug!«
    »Cheryl, Cheryl, Cheryl!«
    Dann verstummten wir und sahen einander an.
    »Du hast abgenommen«, sagte er.
    »Du auch«, erwiderte ich.
    »Du hast dich jetzt gut eingelaufen«, sagte er.
    »Ich weiß! Du auch.«
    »Ich habe einen Bart«, sagte er und zupfte daran. »Ich habe dir so viel
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