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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont
Autoren: Gerhard Roth
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Fremdsprache simulierte – Begriffsstutzigkeit mit wachsender Ungehaltenheit. Haid spürte sein automatisches Lächeln. Er gab der alten Frau die Stahlkassette, in die er das Geld gelegt hatte, worauf die Frau ihm die Kassette zurückschob und kopfschüttelnd auf den kleinen Schlüssel wies, den Haid nicht gesehen hatte und mit dem er offenbar die Stahlkassette versperren mußte. Haid wußte jetzt nicht, ob er den Schlüssel an sich nehmen sollte. Er tat es, als wisse er Bescheid. Die alte Frau grunzte und drehte sich von ihm weg.
     
     
2
     
     
    Haid ging die Asphaltstraße hinunter. Nach wenigen Schritten betrat er eine Imbißstube. Er vergaß seine Sprachkenntnisse und gab sich als Fremder zu erkennen, um mit Nachsicht behandelt zu werden. Er ärgerte sich jedoch über seine Unsicherheit. Warum war er stets unsicher. Seine Frau hatte ihn deswegen zutiefst verachtet. Sie sagte häufig, sie würde »die Sache schon in die Hand nehmen«. In die Hand nehmen! Als ob alles sinnlich sei! Als ob man alles mit den Händen machen könnte, mit dem Körper. Er litt darunter, daß ihn sein Körper unsicher machte. Das Gefühl, das ununterbrochene Gefühl, sich selbst zu spüren! Natürlich hatte er Freud gelesen, aber er konnte sich unter dem Unterbewußten, das seine Unsicherheit verursachte, nichts Rechtes vorstellen. Er kannte diese Hilflosigkeit vom Wort Gott her. Als er während der Scheidung verzweifelt und einsam gewesen war, hatte er oft ins Nichts hinein gesprochen und nachträglich angenommen, daß er versucht hatte, mit Gott zu sprechen. Er glaubte, daß ihn mit Gott eine ähnliche Beziehung verband, wie mit der Natur: Er empfand Sehnsucht nach ihr und fühlte ein Unbehagen, sobald er bemerkte, wie die Zivilisation sie immer mehr verdrängte. Wenn er allein und ruhig war, liebte er Gott. Niemals jedoch konnte er sich sagen, was er sich darunter vorstellte. Er dachte sich zum Trost, daß die Sprache nicht dafür geeignet sei, Gott zu beschreiben. Er war als Student aus der Kirche ausgetreten und hatte die ersten Jahre danach nie an Gott gedacht. Nun, in der Imbißstube, einen Hamburger in der Hand, fielen ihm Gott und das Unterbewußte ein. Vielleicht machte das Unterbewußte ihn unsicher, weil er nicht wußte wer er selbst war. Er dachte sich, daß er sich selber SPIELTE . Genauso wie er sich vorspielen konnte, Philipp Marlowe zu sein.
    Er trank ein Glas Bier und legte die Postkarten, die er in der Hotelhalle gekauft hatte, auf den Tisch. Die Karten waren zum Großteil unfrankiert, da er bei einem Briefmarkenautomaten versucht hatte, 18-Cent-Marken zu kaufen, aber es waren nur verschiedene niedere Werte zur Auswahl gewesen, die er kombinieren mußte, was ihn bald langweilte. Er steckte die Postkarten ein, vergaß aber den ganzen Tag über, sie aufzugeben.
     
     
3
     
     
    Als Philipp Marlowe kaufte er sich einen Zusatzstecker für seinen Rasierapparat. Er betrat ein Woolworth-Kaufhaus in der festen Absicht, Englisch zu sprechen. Ein Verkäufer hinter einem Stand für Uhren und Juwelen, der eine Lupe am Nickelrahmen seiner Brille trug, wußte ein Geschäft, in dem er den Zusatzstecker bekommen würde. Haid ging in die angegebene Richtung. Unterwegs fragte er mehrmals nach dem Weg, erhielt aber keine Auskunft. Die Angesprochenen starrten verkrampft auf die Straße und gingen, ohne sich umzudrehen, weiter. Zuletzt sprach Haid einen massigen Mann mit blonden, graumelierten Haaren an. Der Mann warf ihm einen feindlichen Blick zu und wechselte über die Straße. Fiel er in die Verwirrung zurück, die ihn im Hotel an seinem Verstand hatte zweifeln lassen, als er die Überschrift im Veranstaltungskalender gelesen hatte? Es kam ihm lächerlich vor, daß die Menschen hastig und geschäftig dahineilten, als müßten sie beweisen, wie wichtig ihre Existenz sei. Er vermutete, daß die Angst, angesprochen oder Zeuge eines Verbrechens zu werden, sie mit abweisendem Gesichtsausdruck dahinhasten und voll Mißtrauen jedem Fremden gegenüber werden ließ. Haid fand schließlich das Geschäft.
     
4
     
     
    Nachdem er den Zusatzstecker gekauft hatte, schlenderte er unschlüssig auf der Straße herum. Es war kühler, als er gedacht hatte. Er kam an einem Spielsalon vorbei, den er betrat. Vor den Tischen saßen Männer und Frauen und bemühten sich, mit einem Gummiball auf der elektrischen Anzeige eine Diagonale oder Horizontale zu schließen. Das Aufsichtsorgan, ein kleiner schusseliger Mann mit blauer Schürze, birnenförmigem
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