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Der große Bio-Schmaeh

Titel: Der große Bio-Schmaeh
Autoren: Clemens G Arvay
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Kind war – das war in den 1980er-Jahren –, lebte mein Großvater in einer Holzhütte, umringt von grünen Wäldern und Wiesen, Fischteichen und Bergen. Nicht weit von dem Häuschen entfernt, gab es eine Stelle in einem versteckten Graben, an der drei Wildbäche ineinanderliefen und sich zu einem kleinen Fluss vereinten. Deswegen nannte man diesen Ort »Dreibach«.
    Die Hütte meines Großvaters bot ein bescheidenes, aber gemütliches Zuhause. Sie stand an einem Hang, leicht erhöht auf steinernem Fundament. Die dunkel verfärbten Holzstiegen im Haus knarrten jedes Mal laut, wenn jemand über sie hinwegschritt. Manchmal knarrten sie auch ohne erkennbaren Grund. Die Treppe führte in das Dachgeschoss, in dem sich ein Schlafzimmer befand, dessen Holzwände von malerischen Landschafts- und Pflanzendarstellungen geschmückt waren. In einer Ecke am Kamin lag stets ein Buch auf dem Tischchen, das alle giftigen sowie essbaren Pilze beschrieb, die in den umliegenden Wäldern wuchsen. Meinem Großvater, einem begeisterten Förster, war der Wald zum zweiten Zuhause geworden.
    Mir sind meine kindlichen Erkundungen des Landlebens, gemeinsam mit Bäuerinnen und Bauern aus der Region, in lebhafter Erinnerung geblieben: meine Traktorfahrten – als Beifahrer, versteht sich – und meine abenteuerlichen Besuche in Kuhställen oder in dem alten Forsthaus an einer Waldlichtung. Manchmal durfte ich in Bauerngärten bei der Gemüseernte helfen oder sorgsam Bohnen in die Erde aussäen. Ab und zu fütterte ich Hühner. Ich werde den Tag nie vergessen, an dem ich zum ersten Mal beim Scheren der Schafe des Nachbarbauern dabei war. Auf dem Hof lebten auch Milchkühe und die Familie bewirtschaftete ein Stück Wald. Es gab manchmal Wolle und Fleisch, und immer gab es ausreichend Milch, die im nächsten größeren Dorf verkauft wurde – in einem angestammten Bauernladen, der schon seit Generationen in Familienbesitz war. Das Geschäft bestand aus einem einzelnen Verkaufsraum und wurde von Landwirtinnen und Landwirten aus der Region beliefert. Es war meistens das erhältlich, was gerade Saison hatte. Es gab Bauernbrot und Milch, Butter und Käse, Eier und Würste, Frischfleisch auf Bestellung, Getreide, Mehl und Sämereien, Kräuter, Säfte, Eingemachtes und Schnäpse. Natürlich gab es auch Gemüse und Obst. Erdbeeren, Himbeeren und ähnliche Köstlichkeiten waren immer dann zu haben, wenn sie hierzulande gerade geerntet werden konnten. Bananen, Kiwis, Orangen oder Zitronen gab es nie. Doch es fehlte das ganze Jahr über an nichts, um die Kundschaft gebührend zufriedenzustellen. Als ich in diesem Bauernladen in den 1980ern die wild durcheinandergewürfelten Düfte der ländlichen Lebensmittel wahrnahm und staunend vor den gefüllten Getreidesäcken stand, die so hoch wie ich selbst waren, wusste ich nicht, dass dieser Typus von Kaufladen, der mir so großes Vergnügen bereitete, hierzulande schon bald der Vergangenheit angehören würde. In der verlassenen Gegend an den drei Bächen, an denen mein Großvater lebte, gewann ich meine ersten, kindlich-naiven Eindrücke vom Bauernleben.
Das große Wachsen
    Der Bauernladen an den drei Bächen ist und bleibt eine romantische Kindheitserinnerung und auch in den 1980er-Jahren war diese regionale Art der landwirtschaftlichen Vermarktung längst nicht mehr als Prototyp anzusehen. Doch immerhin: Vereinheitlichung und Zentralisierung des Lebensmittelhandels waren nicht so weit fortgeschritten, wie dies heute der Fall ist. Sogar in Europas Städten konnte man damals noch in kleinen Greißlergeschäften einkaufen, die viele von uns aus Kindheitstagen kennen und die man in Deutschland und der Schweiz als »Tante-Emma-Läden« bezeichnet. Noch gegen Ende der Achtziger investierte ich mein Taschengeld regelmäßig in Kaugummi und Schokolade, die ich mir gemeinsam mit anderen Kindern bei einem Greißler am Stadtrand von Graz kaufte, wo ich aufwuchs. Der bereits in die Jahre gekommene Besitzer saß oft selbst an der Kassa, häufig bediente er Kunden hinter der Feinkostvitrine und murmelte dabei die üblichen Kaufmannsphrasen in seinen grauen Krausebart: »Noch einen Wunsch, gnädige Frau?« oder »Darf´s ein bisserl mehr sein, mein Herr?« Der von jeglicher Konzernzentrale unabhängige Handelsmann war frei genug, seine Lieferanten selbst auszuwählen oder sogar direkt bei Landwirten aus dem städtischen Umland zu bestellen. Vielleicht war er einer der letzten seiner Spezies.
    Am Übergang in die Neunziger
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