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Der goldene Drache

Der goldene Drache

Titel: Der goldene Drache
Autoren: Ursel Scheffler
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Jin Long, der „Goldene Drache“
    Der Mann mit den dunklen Haaren und den halb europäischen, halb chinesischen Gesichtszügen eilt durch das Halbdunkel der Ladder Street, ohne sich nur einmal umzusehen. Zwischen einem Bestattungsunternehmen und einem Schlangengeschäft schlüpft er in eine schmale Gasse. Nach wenigen Metern tritt er durch die Tür einer nur spärlich erleuchten Spelunke. Es ist Lao Shu, einer der geschicktesten Hehler Hongkongs.
    Und er ist geschäftlich unterwegs.
    „Wo ist der Wirt?“, erkundigt er sich und schiebt eine Visitenkarte mit einem goldgeprägten Drachen über den Tisch.

    „Der Wirt ist nicht da“, antwortet eine listig dreinsehende Alte, die gerade die Tische abwischt. Lao Shu hält ihr seinen Siegelring unter die Nase, auf dem ebenfalls ein Drache eingraviert ist, und sagt nachdrücklich: „Ich muss Jin Long sprechen!“
    Sofort ist die alte Frau wie verwandelt und murmelt: „Einen Augenblick, bitte.“ Sie ruft den Wirt.
    Der tritt verschlafen durch einen Vorhang aus aufgefädelten Bambusstückchen.
    „Nihao“, grüßt er auf Chinesisch und sieht den Fremden prüfend an.
    „Nihao“, erwidert Lao Shu. „Ich muss Jin Long sprechen.“

    „Zeig die Zeichen“, fordert ihn der Wirt auf.
    Und Lao Shu zeigt die Karte mit dem Drachen und den Ring.

    „Name?“
    „Man nennt mich Lao Shu ...“
    Der Wirt wählt eine Nummer und telefoniert mit dem Rücken zu Lao Shu. Dann legt er den Hörer auf.
    „Er erwartet Sie erst morgen.“
    „Die Pläne haben sich geändert. Es ist wichtig.“
    „Und wie ist das Kennwort?“
    „Dong feng hong“, antwortet der Besucher.
    Der Wirt nickt, geht hinter den Tresen und holt aus der Kasse einen kleinen silbernen Schlüssel. Er erklärt einen Weg, den nur Eingeweihte begehen dürfen. „Präge ihn dir gut ein!“, rät er dem Gast eindringlich.
    Neue Gäste kommen. Sie nehmen an einem der einfachen runden Holztische Platz und bemerken Lao Shu nicht, der wie ein Schatten in Richtung Toilette verschwindet. Er betritt den nicht gerade besonders einladenden Ort und sieht sich vorsichtig um. Er ist allein.
    Jetzt nimmt er den Schlüssel, den er vom Wirt bekommen hat, und öffnet den Wandschrank neben dem Waschbecken. Auf der Rückseite des Schrankes ist eine Geheimtür. Lao Shu entdeckt das Schlüsselloch im Drachenmuster der Tapete. Er schließt diese Tür ebenfalls auf und gelangt in einen dunklen Korridor. Der endet vor einer Tür, hinter der er Stimmen vernimmt.
    Auf ein bestimmtes Klopfzeichen hin – zweimal kurz, dreimal lang – wird ihm geöffnet.
    Nun betritt Lao Shu einen Raum, der überraschend elegant eingerichtet ist. Etwa zehn oder fünf zehn Leute sitzen an Spieltischen, rauchen und unterhalten sich. Sie beachten ihn anscheinend gar nicht. Das aufmerksame Augenpaar, das jeden seiner Schritte durch ein Guckloch hinter dem Billardtisch beobachtet, bemerkt er natürlich nicht.

    Diese Spielhölle ist aber nicht Lao Shus Ziel. Sie ist eine geschickt getarnte Durchgangsstation zu einem der Schlupfwinkel des „Goldenen Drachen“.
    Lao Shu geht zögernd weiter und tritt am Ende des Raumes durch einen grünen Vorhang, hinter dem sich eine Art Garderobe befindet.
    Er steht vor einem Wandspiegel. Verunsichert zögert er nun einen Augenblick. Wie kommt er hier weiter? Dann entdeckt er einen Klingelknopf. Er klingelt dreimal kurz und zweimal lang. Eine Lampe leuchtet auf, die den kleinen Raum plötzlich erhellt. Als die Lampe wieder erlischt, ertönt ein leichter Summton. Jetzt gleitet der Spiegel geräuschlos beiseite und gibt den Blick auf ein geschmackvoll eingerichtetes Büro frei.

    Fein geknüpfte Teppiche, kostbare Vasen und wertvolle Bilder verraten den Reichtum des Besitzers. Er nennt sich Jin Long, der „Goldene Drache“. Freunde und Neider nennen ihn „König der Unterwelt“.
    Seinen richtigen Namen kennt keiner.
    Die „Spiegeltür“ schließt sich wieder. Von der Innenseite her ist sie durchsichtig wie eine Glasscheibe.
    So kann Jin Long jeden Besucher erst genau begutachten, ehe er ihn einlässt. Diese Vorsichtsmaßnahme hat sich schon oft als lebenswichtig erwiesen.
    Das Büro wird von einem mächtigen Schreibtisch aus Zedernholz beherrscht, auf dem ein Computer und ein Telefon stehen. Sie wirken zwischen den Antiquitäten allerdings wie Fremdkörper. Dahinter sitzt Jin Long und raucht eine Wasserpfeife. Neugierig mustert er den Besucher.
    „Sie kommen heute schon, Lao Shu?“, wundert sich Jin Long, der
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