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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Autoren: Stefan Lukschy
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Rettung des Hauses teilzunehmen. Er mochte das Theater nicht nur aus nachbarschaftlicher Verbundenheit heraus, sondern auch weil wir kurz zuvor dort eine hinreißend komische Aufführung von Yasmina Rezas Stück »Kunst« gesehen hatten, mit Udo Samel, Peter Simonischek und Gerd Wameling. Außerdem amüsierte ihn – und mich – die Vorstellung, dass er im selben Haus auftreten würde, in dem ich 1955 als sechsjähriger Junge neben der von Vicco bewunderten großen Käthe Dorsch auf der Bühne gestanden hatte.
    Vicco las auf der Veranstaltung, u. a. neben Gerd Wameling, seinen Text »Sprechen, sprach, gesprochen«, einen luziden Versuch über menschliche Kommunikation. Er begann mit einem Hinweis auf das Alter des Theaters: Es sei Mitte achtzig und bedürfe zur Aufrechterhaltung seiner Betriebssicherheit der Restaurierung – »Dieser Zustand ist mir vertraut.«
    Als die Zuschauer des ZDF ihn im Rahmen der Voting-Show »Unsere Besten« im April 2007 zu Deutschlands beliebtestem Komiker wählten, machte ihm sein Lampenfieber wieder einmal zu schaffen (nicht wegen der Ehrung, sondern wegen des Live-Auftritts). Man möchte meinen, dass ein Profi wie er, der schon x-mal vor großem Publikum aufgetreten war, frei davon war. Irrtum. Und im Alter wurde es immer schlimmer. Seine ganze Umgebung wurde einbezogen und liebevoll terrorisiert. Diesmal kapitulierte selbst Romi und bat mich, ihn ins ZDF-Studio zu begleiten.
    Den Ehrenpreis des Deutschen Comedypreises hat er dann im selben Jahr wegen der damit verbundenen Reise doch nicht mehr live vor Publikum entgegennehmen wollen. Er wurde ihm nach Ammerland gebracht, ohne dass eine Kamera dabei war.
    Auch die Ehrenmitgliedschaft der hochwissenschaftlichen Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Jahr 2010 nahm er nicht mehr persönlich entgegen. Er schickte mich nach Frankfurt, wo ich in der Paulskirche die Urkunde für ihn entgegennahm und in seinem Namen ein paar kurze Dankesworte sagen durfte. Vorher führte ein Zusammenschnitt von Loriots schönsten Momenten zu homerischem Soziologen-Gelächter in der heiligen Halle der Deutschen.
    Aber nicht alle Ehrenbezeugungen machten ihm Mühe, manche freuten ihn sogar ganz außerordentlich. Sein alter Freund Joachim Kaiser hat zu seinen späten Geburtstagen die vielleicht schönsten Formulierungen über Loriot gefunden. Er nannte ihn einen »Preußen, wie Gott ihn träumt«, und gratulierte ihm zum Erscheinen seines Lebenswerkes mit den Worten: »Ich glaube, nur die Barbarei ist imstande, dem Lächeln Loriots zu widerstehen.«
    Sein letzter Bühnenauftritt war »Candide«, am 14. Juli 2007 im Münchner Gärtnerplatztheater. Er hatte schon länger kein Bedürfnis mehr nach Öffentlichkeit, aber das Publikum wollte ihn unbedingt noch einmal auf der Bühne erleben. In den Tagen und Stunden vor der Aufführung war Vicco stark belastet. Vier Tage zuvor hatte der lyrische Tenor Jerry Hadley, der die Partie des Candide unter Bernstein uraufgeführt hatte, versucht, sich das Leben zu nehmen, und nur schwerstbehindert überlebt. Die Nachricht traf nicht nur Vicco, sondern noch viel mehr seinen Dirigenten David Stahl, der mit Hadley eng befreundet war. Vier Tage später starb Hadley.
    Bevor es losging, zog David Stahl ein kleines Stück Bernstein aus der Tasche seines Fracks und reichte es Vicco, damit er es berührte. Vicco hatte Stahl den Stein zur Premiere in Erinnerung an den Komponisten und Mentor des Dirigenten geschenkt.
    Die Aufführung war großartig. Bei allem Witz und aller musikalischen Brillanz lag aber auch die Wehmut der Dernièreüber der Vorstellung. Man hatte öffentlich verkündet, dass dies Loriots definitiv letzte »Candide«-Aufführung sei. Es war ein ergreifender Abschied von der Bühne.
    In diese Zeit fiel auch Loriots letzter Opernbesuch als Zuschauer. Wagners »Parsifal« im Münchner Nationaltheater am 8. April 2007. Kent Nagano dirigierte, Nikolai Shukoff sang einen bemerkenswerten Titelhelden, John Tomlinson einen grandiosen Gurnemanz, die sehr moderne und sehr gelungene Inszenierung war von Peter Konwitschny.
    Wie jung er aber trotz alledem fühlen konnte, bewies er noch im Frühjahr 2009, als er während des Gallery Weekends in Berlin weilte. Er hatte während eines Abendessens bei uns den jungen Berliner Maler Christian Awe kennengelernt, dessen künstlerische Wurzeln im Graffiti liegen. Vicco zeigte sich äußerst interessiert an den Arbeiten des jungen Kollegen. Am nächsten Tag fuhren wir mit Romi, Liele,
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