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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator
Autoren: Philipp Vandenberg
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dem Leben davon. Den anderen wird der Dreizack in den Hals gerammt oder das Kurzschwert in die Eingeweide, sie landen im Spolarium, wo man ihre zerfleischten Körper mit glühenden Eisen bearbeitet, um sicherzugehen, daß kein Leben mehr in ihnen ist.«
    Vitellius zuckte bei diesen Worten unwillkürlich zusammen, als spürte er das glühende Eisen auf seinem Fleisch; doch er fing sich bald wieder und ermunterte den Gladiator: »Wenn du an dein Glück glaubst, wirst du siegen! – Wie viele Siege hast du schon errungen?«
    Der Mann starrte schweigend vor sich hin. Dann wiederholte er bitter: »Siege! Siege! Ich bin neu in dem Geschäft. Ein Kampf. Einmal gefallen. Einmal begnadigt. Eigentlich müßte ich tot sein, verstehst du?«
    »Ich verstehe«, sagte Vitellius betroffen.
    Der Mann gewann allmählich Zutrauen zu dem Jüngling: »Ich stamme aus Galiläa. Meine Vorfahren sind Juden. Unter Tiberius brachten sie mich nach Rom. Der Kaufmann Hortensius nahm mich als Sklave. Zwei Decennien schleppte ich Fässer, Ballen und Kisten – und stets zur Zufriedenheit meines Herrn. Er erlaubte mir, eine Sklavin aus meinem Geschlecht zu heiraten. Sie starb bei der Geburt meiner Tochter. Aber Hortensius war alt, er mußte seine Taberna aufgeben, und weil er Geld für seinen Lebensabend brauchte, hat er das ganze Inventar mitsamt uns Sklaven verkauft. Nur Rebecca hat er behalten, meine Tochter.«
    »Und du wurdest dem Sulpicius Rufus verkauft?« fragte Vitellius.
    »Sic«, antwortete der Mann, »so ist es! Rufus meinte, wer solche Bärenkräfte hätte wie ich, der müßte einen guten Gladiator abgeben. Ich hätte ja nichts zu verlieren, ich könnte höchstens die Freiheit gewinnen. Nun, der erste Kampf hätte mich beinahe mein Leben gekostet.«
    Beide schwiegen betroffen. Nach einer Weile fragte der Gladiator: »Bist du ein Römer?«
    Vitellius antwortete: »Nein, ich stamme aus Bononia, aber ich besitze das römische Bürgerrecht.«
    »Kannst du lesen und schreiben?« wollte der Mann wissen.
    »Bei allen Göttern, nein«, lachte Vitellius, »ich bin ein Kesselflicker, der von Pflegeeltern großgezogen wurde, wer hätte es mir je beibringen sollen!«
    »Auch gut«, sagte der Gladiator, »aber du hast Verstand und verstehst ihn zu gebrauchen. Ich bitte dich um einen Gefallen. Sollte mich morgen der Dreizack irgendeines dieser Spießgesellen treffen und ich dabei zugrunde gehen, dann gehe zu Hortensius in die Straße der Gewürzkrämer im vierten Stadtbezirk und frage nach Rebecca. Bringe meiner Tochter die Todesnachricht schonend bei. Sag ihr, daß ich sie über den Tod hinaus liebe und daß sie der Stolz meines Lebens war. Und sag ihr – auch wenn es nicht stimmt –, daß ich ohne Furcht gestorben bin.« Bei diesen Worten rannen wieder Tränen über sein Gesicht.
    »Du wirst nicht sterben«, versuchte Vitellius den Gladiator zu trösten. »Du wirst einen glänzenden Sieg erringen, und Rufus wird dir die Freiheit schenken!«
    Der Gladiator wischte sich mit dem Unterarm die Tränen von den Wangen. »Mögen die Götter dich schützen! – Wie heißt du eigentlich? – Mein Name ist Verritus.«
    »Vitellius«, sagte der Junge, und beide faßten sich am Unterarm.
    »Komm herüber, schöner Bononier«, rief Lycisca, die inzwischen von Sulpicius Rufus alleingelassen worden war, »wir wollen uns die syrischen Tänzerinnen ansehen. Schenkt die Becher voll!« Sieben in weiße Schleier gehüllte Mädchen wiegten ihre Hüften im Takt einer klagenden Melodie, eine Vorführung, die nicht einmal den Jüngling aus der Provinz aufzuregen vermochte. »Finis!« brüllte ein Betrunkener, »Ende!« – Mit einem Mal grölten alle »Finis, Finis, Finis!« Und hämmerten mit ihren Bechern auf die Tischplatten.
    Das wirkte wie ein Signal auf Lycisca. Sie sprang auf den Tisch, zerrte an ihrer blonden Lockenpracht, die sich als Perücke entpuppte, darunter kamen lange schwarze Haare zum Vorschein. Das Hämmern der Todgeweihten wurde lauter und schneller. Lycisca wiegte sich im Takt. Mit einer kurzen Handbewegung riß sie sich ihr Kleid vom Leib. Die Gladiatoren stießen Schreie der Begeisterung aus, hämmerten lauter und lauter mit ihren Bechern, brüllten im Rhythmus ein unverständliches Wort. Lycisca, nackt, prall und provozierend, wand sich mit lasziven Bewegungen vor den gierigen Augen der Todgeweihten. Jetzt glaubte Vitellius das rhythmische Brüllen der Gladiatoren zu verstehen: »Mes-salina. Messalina. Mes-salina.«
    »Bei allen Göttern«,
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