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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen
Autoren: Karl May
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beschäftigt, welcher sich nicht binden lassen wollte, aber doch endlich, wie ich zu bemerken Gelegenheit hatte, auf einen Wink des Zigeuners nachgab.
    »So,« sagte feindselig lachend der Colonel; »trotzdem auch wir die löbliche Eigenthümlichkeit haben, gefangenen Offizieren Achtung und Rücksicht zu erweisen, dürft doch Ihr auf so Etwas nicht rechnen, und das habt Ihr Eurem Bruder zu danken.«
    »Meinem Bruder?« fragte der Gefangen wie verwundert.
    »Niemand Anderem, Don Ramirez. Da Ihr nicht bei derselben Abtheilung gestanden habt, mag Euch wohl unbekannt sein, wie ich zu dieser Aeußerung komme. Er ist vom General Jovellar nach Tolosa gesandt worden, um unsere Streitkräfte kennen zu lernen, also Spion. Unglücklicher Weise ward er von einem unserer Offiziere, der ihn kannte und sah, entdeckt und zum Tode verurtheilt. Dieses Urtheil scheint sich aber seiner Zustimmung nicht erfreut zu haben; denn eine Viertelstunde vor der Execution war er verschwunden und mit ihm eine von den jungen Damen, welche Major Resibo veranlaßt hatte, den Bahnwagen zwischen Saragossa und Barcellona zu verlassen und mit ihm zu gehen, um in ihnen eine Anweisung auf die Kasse ihrer Herren Väter zu besitzen. Natürlich hat man Alles in Bewegung gesetzt, um der Entflohenen habhaft zu werden, bisher aber ohne Erfolg. Da Ihr nun denselben Namen tragt, wie Euer Bruder, so dürft Ihr es uns nicht verargen, wenn wir für Eure Person eine etwas unliebenswürdige Aufmerksamkeit haben.«
    »Die Schuld meines Bruders ist nicht die meinige, obgleich ich an seiner Stelle ebenso gehandelt hätte. Uebrigens bin ich nicht ein Mörder, sondern Kriegsgefangener und werde an der geeigneten Stelle Satisfactionen zu verlangen wissen!«
    »Das werde ich Euch nicht verwehren; doch wird Euch dazu wohl wenig Zeit übrig bleiben.«
    Bei diesen Worten wandte er sich ab und trat zu dem Zigeuner, welcher jetzt scheinbar theilnahmlos in der Ecke gelehnt hatte.
    »Jetzt zu Dir, Bursche. Wer war es, der vorhin gepfiffen hat?«
    Der Gefragte blieb unbeweglich liegen und blickte mit einem Ausdrucke, in welchem ein leiser Spott kaum zu verkennen war, zu dem Frager empor.
    »Wendet Euch an eine andere Adresse, Sennor! Ich laufe nicht als Pfiffinspektor in der Welt herum.«
    »Kommst Du mir so, Hallunke? Wahre Deine Zunge und gieb Antwort auf meine Frage, sonst werde ich Dir den Mund zu öffnen wissen. Uebrigens hast Du Dich zu erheben, wenn ich mit Dir spreche. Also, wer hat gepfiffen?«
    »Was geht das mich an?« fragte der Bedrohte ruhig, indem er trotz der Aufforderung des Offiziers in seiner Stellung verharrte. »Ich glaube nicht, daß es mir gegolten hat.« –
    »Steh auf, sage ich Dir, oder ich lasse Dich peitschen, bis Du höflich wirst. Gestehe, daß Du es selbst gewesen bist!« –
    »Warum fragt Ihr dann, wenn Ihr das so genau wißt?« entgegnete der Gitano, indem er sich langsam erhob und gähnend die schlanken Glieder streckte, als befände er sich in der sichern Mitte der Seinen und nicht in einer so lebensgefährlichen Lage.
    »Damit hast Du Deine Schuld eingestanden und wirst den Lohn des Verräthers haben. Bindet ihn!«
    Sofort traten einige der Leute herbei, um der Weisung zu gehorchen. Er streckte ihnen mit einem ruhigen überlegenen Lächeln die Hände entgegen und verzog keine Miene, als sie ihm die Arme in einer Weise zusammenschnürten, die ihm jedenfalls Schmerzen verursachen mußte.
    Das Mädchen hatte sich erhoben und trat mit einer angstvollen, abwehrenden Bewegung auf den Colonel zu. Dieser warf einen langen Blick auf die schöne Gestalt der Bittenden und sprach dann:
    »Spare Deine Worte, meine Schätzchen; sie werden ihm und Dir Nichts helfen. Uebrigens ist es jammerschade, daß ein so niedliches Kind wie Du seine Schönheit nicht besser zu verwerthen weiß. Ich werde Dir Gelegenheit dazu geben, und wenn Du verständig und gehorsam bist, wird Don Enrico de Calanda y Munilla vergessen, in welcher Gesellschaft er Dich getroffen hat.«
    Trotz der Bräune ihres Gesichtes war doch die glühende Röthe zu bemerken, welche dasselbe bei diesen Worten überzog. Der Offizier, dieses mißdeutend, fuhr fort:
    »Deine gegenwärtige Gesellschaft taugt nicht für Dich. Gehe dort zu meinen Leuten und nimm Theil an dem Mahle, welches sie eben bereiten. Nach demselben wird die Execution des Mörders vorgenommen werden. Ueber die Andern mag ein Kriegsgericht entscheiden.«
    Er winkte Einem der Seinigen, welcher herzutrat und die Widerstrebende mit sich
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