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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas
Autoren: Antje Babendererde
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geheimnisvolle Verständigung eingesetzt, obwohl wir noch kein Wort miteinander gesprochen hatten. Mein Herz klopfte schnell und laut. Im selben Augenblick kam die Sonne durch die Wolken und ich hatte das Gefühl, alles um mich herum würde in einem unirdischen Licht erstrahlen. Geblendet sah ich zu Boden.
    Javids Onkel, ein Makah-Indianer mit kurzem Haar und Schnurrbart, kassierte sein Geld, dann half er uns auf das Deck des sechs Meter langen Motorbootes mit dem stolzen Namen Victoria . Das weiße Plastikdeck war sauber geschrubbt und leuchtete hell in der Sonne. Wir bekamen jeder eine Schwimmweste und halfen uns gegenseitig beim Festbinden der Strippen. Erst, als wir auf den beiden leuchtend blauen Holzbänken saßen, holte Javid die vom Meerwasser durchsalzenen Taue ein. Soones warf den Motor an und begleitet vom Chor der Seemöwen tuckerte das Boot von der Anlegestelle.
    Es roch stark nach Fisch und Seetang im Hafen, vermutlich wegen der Abfälle von der Fischverarbeitungsanlage, einem türkisfarbenen Holzkasten, der nur wenige Meter entfernt auf Holzpfählen im Wasser stand. Mir wurde jetzt schon schlecht und ich war sehr froh die Pille gegen die Seekrankheit geschluckt zu haben. Was sollte das erst werden, wenn wir auf dem offenen Meer draußen waren?
    Soones steuerte das Boot zunächst nach Osten. Wir passierten einen schmalen Durchgang zwischen dem Festland und einer kleinen Insel, die auf ihrer anderen Seite durch einen schmalen Damm mit der Bucht verbunden war. Auf diese Weise war der geschützte Hafen entstanden.
    Â»Wohnt da jemand?«, überschrie Mrs Austin den Bootsmotor und zeigte mit dürrem Finger auf die bewaldete Insel.
    Henry Soones schüttelte den Kopf. »Nein, auf Waadah Island wohnt niemand mehr, Ma’am. Aber ein paar Leute aus Neah Bay graben da manchmal nach Muscheln.«
    Soones umfuhr die kleine Insel und nun konnten wir auf der anderen Seite die dunklen Wälder von Vancouver Island sehen. Kanada war nur einen Katzensprung weit weg. Zwanzig Kilometer, sagte Javids Onkel, als Mr Austin ihn danach fragte. Aber es lag im Dunst und blieb deshalb nur schemenhaft, während ich linker Hand den zerklüfteten Küstenstreifen von Cape Flattery deutlich erkennen konnte.
    Auf einmal war alles ganz anders. Der Hafen mit seinen Booten, die Häuser von Neah Bay und die Fischfabrik waren aus unserem Blickfeld verschwunden. Wir erreichten den Eingang der Meerenge von Juan de Fuca. Auf der rechten Seite lag Kanada, vor uns das offene Meer, und zu unserer Linken tauchten die schroffen Felsen von Cape Flattery auf.
    Seemöwen hatten ihre Nistplätze in den Spalten der Felsen. Einige Vogelarten schienen ihre Nester auch in den dunklen Höhlen unter dem Kap zu haben, die sich bei Flut mit Wasser füllten. Weißer Schaum spritzte, wenn die grünen Wellen sich an den Felsen brachen. Henry machte uns darauf aufmerksam, dass es hier unter anderem auch die seltenen Papageientaucher gab. Meinem Vater, der diese Vögel unbedingt in seinem Bildband haben wollte, erklärte er, dass es einen guten Weg über Land gab, auf dem man das Kap problemlos erreichen konnte.
    Â»Sie zu fotografieren könnte allerdings schwierig werden«, gab Soones zu bedenken. »Sie haben ihre Nester auf den Klippen und da kommt man nur schwer an sie ran.«
    Eine weitere, dem Kap vorgelagerte Insel zog mich in ihren Bann. Auf ihr stand ein gelbes Gebäude mit einem Leuchtturm und auf den Felsen davor tummelten sich Robben. Soones stellte den Motor ab, damit wir die wohlgenährten Tiere eine Weile beobachten konnten. Aufgestört durch den Motorenlärm, sahen sie mit ihren großen runden Augen zu uns herüber. Einige sprangen ins Meer. Zwischen dem Festland und Tatoosh Island war die Strömung jedoch so stark, dass Soones den Motor bald wieder anwarf, damit das Boot nicht auf die Klippen lief. Und die Victoria umfuhr Cape Flattery, den nordwestlichsten Punkt der Vereinigten Staaten von Amerika.
    Die von Klippen beherrschte Küste, mit ihren aus dem Wasser ragenden Felsnadeln und dem sturmzerzausten Wald waren ein überwältigender Anblick. Aber ich hatte natürlich nicht vergessen, warum wir eigentlich hier waren: Ich wollte die Wale sehen.
    Suchend starrte ich auf das Meer hinaus. Schon machte sich Enttäuschung in mir breit, weil ich befürchtete unser Bootsausflug könnte umsonst gewesen sein. Nirgendwo konnte ich etwas entdecken, das auch
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