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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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in Bewegung. Der Oberkörper richtete sich auf, und der Kopf drehte sich zu ihr.
    Kristina blickte in ein von der Sonne gegerbtes Gesicht, dessen Besitzer mit einem Waran verwandt sein musste. Guten Morgen Matula, knurrte Kristina innerlich. So hatte sie ihn getauft. Menschen andere Namen zu geben, das war eine Marotte von ihr.
    Wo bist du nur mit deinen Gedanken?, mahnte sie sich im Stillen und atmete tief durch. Daran war nur diese elende Hitze schuld. Da musste man ja auf dumme Ideen kommen. Ob das wohl schon die Wechseljahre mit dieser fliegenden Hitze waren? Quatsch! Schließlich war sie erst fünfundvierzig.
    Kristina zwinkerte ihrem Patienten freundlich zu und drückte dessen Oberkörper energisch zurück auf die Liege. Justus Claussen kam seit gut einem Monat wegen seiner Verspannungen in Nacken und Rücken zu ihr in die Praxis. Sie wunderte sich nicht über seine diversen Wehwehchen. Der Jurist betätigte sich privat als Extremsportler. Mountainbiking, Klettern, Drachenfliegen, Kajakfahren – was auch immer eine Herausforderung darstellte, er nahm sie an. Zurzeit frönte er seinem neuesten Hobby, dem Fallschirmspringen. Und er ließ nichts unversucht, um sie zu einem gemeinsamen Sprung zu überreden.
    „Besser als jeder Orgasmus“, meinte er nun – wie jedes Mal.
    Dann hast du was verpasst, du Alpha-Männchen, dachte Kristina. Was konnte an einem Sprung aus dem Flugzeug so gigantisch sein, dass es guten Sex in den Schatten stellte? Vielleicht fehlte es dem Waran einfach an der dazu notwendigen Feinmotorik. Sie jedenfalls würde weder das eine noch das andere mit ihm ausprobieren, sondern schön auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Besser als jeder Orgasmus? Kristina seufzte leise. Orgasmus – was war das? Sie musste schon tief in ihrem Gedächtnis kramen, um sich an ihren letzten zu erinnern. Das Leben konnte ganz schön gemein sein.
    Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihr, dass sie zum Ende kommen konnte. Nach ein paar letzten Handgriffen deckte sie den nackten Rücken mit einem flauschigen Handtuch zu und verließ auf Zehenspitzen den Behandlungsraum. Matula schnarchte inzwischen leise vor sich hin. Sie wollte ihn jetzt nicht wecken.
    Ihr erster Weg führte sie ins Badezimmer, wo sie sich das Öl von den Händen wusch. Dann tupfte sie sich den Schweiß aus dem Gesicht und studierte ihr Spiegelbild.
    „Was ist bloß los mit dir?“, fragte sie die Frau, die ihr im Spiegel entgegenblickte.
    Schon zum zweiten Mal in dieser Woche war sie während einer Behandlung in einen erotischen Tagtraum geglitten. Natürlich herrschte ein gewisser Notstand. Aber es war nicht so, dass sie sich nicht mehr im Griff hatte. Da stand sie nun also, eine Frau im besten Alter, mit einer immer noch passablen Figur, glatter Haut und keinem einzigen grauen Haar. Und was geschah?
    „Nichts. Null Komma nix“, antwortete sie sich selbst. „Na ja, es gibt Wichtigeres.“
    Viel wichtiger ist doch die Liebe, überlegte sie. Aber auch da sah es eher düster aus. Gab es denn nirgendwo einen Seelenverwandten für sie? Ja, das Leben konnte ziemlich gemein sein.
    „Aber ich will mich nicht beschweren“, sagte sie wie immer zu sich, wenn sie Gedanken wie diesen nachhing, „ich habe ja alles, was ich brauche. Bloß nicht undankbar sein.“
    Wie hatte Sophie diesen Zustand kürzlich genannt? Notgeil. „Oh, mein Gott“, seufzte sie. Ob ihre Tochter das auch bei ihr so nennen würde? Kristina fixierte ihr Spiegelbild. „Schau den Tatsachen ins Gesicht: Du bist jetzt eine notgeile Alte.“
    In dem Moment klopfte es an der Tür. „Sprichst du wieder mit dir selbst?“
    Kristina ignorierte die Frage und zog eine Grimasse. Dass sie zuletzt einen Mann im Arm gehalten hatte, lag schon Wochen, nein, Monate zurück. Eine Verschwendung hatte Rita es genannt. Und Kristina wusste, dass sie jetzt draußen vor der Tür stand. „Rita, du sollst nicht an der Tür lauschen!“, rief sie.
    Rita. Das war die Frau, die ihr ständig vorhielt, dass sie das Beste im Leben einfach verpasste. Erst vor kurzem hatte sie zu Kristina gesagt: „Du bist eine Frau in den besten Jahren. Du stehst in der Blüte deines Lebens, und du lebst wie eine Nonne. Wann hast du deinen letzten Orgasmus gehabt?“
    „Orgasmus? Was ist das?“
    Rita hatte nicht glauben können, dass es weit und breit keinen Kerl geben sollte, der zu Kristina passte. „Krristina, des is fei aweng zum Färrrchdn“, hatte sie mit rollendem R geschimpft.
    Zum Fürchten fand Rita die Abstinenz
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