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Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition)
Autoren: Daniela Winterfeld
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Bewegungen das Holz glatt schmirgelte. Etwas Kleines, Braunes wuselte hinter ihm über die Statue, sprang auf die Wiese und raste auf Fina zu.
    Das Eichhörnchen. Es keckerte, als es sie erreichte, sprang an ihrem Bein hinauf und kletterte auf ihre Schulter.
    Fina legte den Zeigefinger an ihre Lippen und streichelte durch das weiche Fell. »Verrat mich nicht.« Sie bewegte nur ihren Mund, während sie wieder zu Mora sah.
    Er hatte sie noch nicht entdeckt, schien so vertieft zu sein, dass er die Begrüßung seines Eichhörnchens nicht bemerkte. Fina mochte diesen Moment, in dem sie ihn so sehen konnte, wie er wirklich war. Ihr Blick fing sich in den Wassertropfen, die auf seinen Armen glitzerten, auf den nackten Beinen unter seiner kurzen Hose. Sie tropften aus seinen schwarzen Haaren, perlten über seinen Nacken und sickerten in das blaue T-Shirt.
    Fina musste schmunzeln. Fast konnte sie sehen, wie er im See schwamm, aus dem Wasser stieg und nur einmal kurz die Haare schüttelte, bevor er sich anzog. Nur wenn es kalt war, benutzte er ein Handtuch – oder wenn sie bei ihm war und ihr eigenes Handtuch mit ihm teilte.
    Ihr Herzschlag wurde schneller, drängte sie zu ihm. Das Eichhörnchen sprang zurück auf den Boden, raste an Mora vorbei zum Waldrand und kletterte am Stamm einer Erle hinauf.
    Finas Lächeln erstarrte. Sie entdeckte Moras Herrn, der am Fuß der Erle hockte. Er hielt den Kopf zur Seite geneigt und beobachtete seinen Diener mit zusammengekniffenen Augen.
    Fina schnappte nach Luft. Der Alte war nur aus einer Baumwurzel geschnitzt. Doch Mora hatte sein Gesicht so originalgetreu getroffen, dass es ein grausiges Schaudern über ihren Rücken trieb.
    Seitdem er kein Gold mehr besaß, schnitzte Mora seine Figuren aus Holz. Inzwischen hatte er ein wahres Gruselkabinett aus lebensgroßen Grummelscrat-Skulpturen angefertigt.
    Rechts neben Mora gab es den Herrn ein weiteres Mal. Mit breiten Beinen stand er auf der Wiese, hielt die Hand an der Peitsche und brüllte eine Anweisung. Ein dritter Grummelscrat sprang hinten im Wald von einem Bein auf das andere und sah mit verschlagenem Blick zu ihnen hinüber. Ein vierter huschte halb geduckt durch das Unterholz, als würde er jemanden verfolgen, und ein fünfter saß rittlings auf dem Rücken eines Wildschweines und schnitt ihm die Kehle durch.
    Doch am schlimmsten waren die drei Skulpturen, die Mora aus den lebenden Kopfweiden am Seeufer geschnitzt hatte. Sie zeigten den Geheimen aus einer starken Unterperspektive. Selbst, wenn man vor den Figuren stand, kam es einem so vor, als würde man sich auf den Boden ducken. Aus einer schief wachsenden Weide hatte Mora einen Grummelscrat geformt, der sich zurücklehnte, während er sich die Füße waschen ließ – auf seinem Gesicht dieses seltsame Lächeln, das Mora als gütig bezeichnete. Daneben stand der Herr im Riesenformat, mit verzerrtem Gesicht und einer fliegenden Peitsche in der Hand, deren knotige Bänder aus langen Weidenzweigen geformt waren.
    Auch der dritte Grummelscrat stand aufrecht, in seinem Blick eine wilde Gier. Die Weide, aus der er geschnitzt war, hatte einen leichten Knick in der Mitte, der aussah, als würde der Alte seine Hüfte vorschieben. Genau in der Mitte des Knicks hatte Mora einen Ast stehen lassen, der aufrecht nach oben wuchs wie eine gigantische Erektion.
    Fina wandte ihren Blick ab, kämpfte gegen einen Anflug von Übelkeit. Mit langsamen Schritten ging sie auf Mora zu. Sie hatten nie darüber geredet, warum er diese Figuren schnitzte, aber sie ahnte, dass es seine Art war, die Qual zu verarbeiten. Auch wenn er äußerlich stark erschien – aus diesen Figuren sprach das Trauma, das in seiner Seele schlummerte.
    Vielleicht war das der Grund, warum sie ihn so oft allein ließ. Mora würde mit keinem Therapeuten reden, er würde zu keiner Selbsthilfegruppe von Gewaltopfern gehen – und wahrscheinlich brauchte er auch nichts davon, solange er diese Figuren schnitzte.
    Fina biss sich auf die Unterlippe. Er sollte nicht sehen, wie sehr die Szenerie sie mitnahm. Diese Skulpturen waren seine Sache, nicht ihre.
    Sie versuchte, zu lächeln und das Beben aus ihrer Stimme fernzuhalten: »Hey!«
    Moras Arm hielt inne, das Schleifgeräusch verstummte. Gleich darauf sprang er auf und wirbelte zu ihr herum. Das Schwarz seiner Augen erschien weit, eine Ahnung von dem Abgrund, aus dem seine Skulpturen stammten. Doch sein Blick verwandelte sich. Ein sanftes Gefühl blitzte in seinen Pupillen auf,
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