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Der Frauenmörder

Der Frauenmörder

Titel: Der Frauenmörder
Autoren: Hugo Bettauer
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Jahre im Zuchthaus hatten ihm Selbstbeherrschung und Geduld genug anerzogen. Denn für den, der noch nicht verkommen ist, der vom Leben noch etwas will, bedeutet ja Gefängnis nichts als ein qualvolles Warten, ein Zählen der Minuten und Stunden und Tage und wieder Warten, Warten, nichts als Warten.
    Gegen fünf Uhr, als Krause doch schon fühlte, wie er apathisch und stumpf wurde, betrat ein Herr das Postamt, der sich scheu nach links und rechts umsah.
    Krause fuhr zusammen, sein Herzschlag setzte fast aus. Der Herr, der den Raum betreten hatte und nun vor dem Postlagerschalter stand, war groß, schlank, sommerlich gekleidet, blond und hinter Kneifergläsern lugten große, blaue, ein wenig verwundert dreinblickende Augen ängstlich hervor.
    Krause stellte sich dicht neben ihn, kramte in der umgehängten Tasche, als würde er nach irgendwelchen Poststücken suchen, er sah, wie der blonde Herr dem Beamten einen Zettel hinschob, auf dem die Worte "Blondes Gretchen" standen. Der Beamte, der unterrichtet war, tat, als würde er im Fach suchen, sagte "nichts da", der Herr zog eilig wieder ab, gefolgt von Krause, der rasch die Tasche abgeworfen und die Kappe mit einem Strohhut vertauscht hatte.
     
    Der Blonde ging mit überraschen, schlenkernden Schritten einher, wie sie Leuten oft eigen sind, die beim Gehen stark denken und ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Krause, der etwa dreißig Schritte hinter ihm blieb, stellte fest, daß die Bewegungen des Verfolgten bei aller nervösen Fahrigkeit doch harmonisch und sympathisch wirkten. Und unwillkürlich gedachte er des einstündigen Spazierganges im Hof des Zuchthauses, dieses Ganges in der Runde, der durch drei Jahre bei jedem Wetter tagtäglich absolviert werden mußte, immer neben, hinter, vor denselben Sträflingen. Damals hatte er sich Erkenntnis der Menschen nach ihrer Art zu gehen zurecht gelegt und oft genug herausgefunden, daß der Schritt, die Körperhaltung beim Gehen, das Federn im Knie oft mehr zu sagen hatten, als das Gesicht, das durch äußerliche Erlebnisse unabhängig vom wahren Wesen stark beeinflußt wird. Wie edel und weich waren die Bewegungen jenes Mannes gewesen, der zwölf Jahre wegen Ermordung seiner Frau zu verbüßen hatte, und wie viel reine Menschengüte, christliche Denkungsart hatte Dengern später bei ihm im gemeinsamen Schlafsaal entdeckt. Ein anderer Häftling hatte Joachim von Dengern durch das Schleichende, Katzenartige seiner Bewegungen mit Ekel erfüllt, später lernte er ihn als ungemein gefälligen, liebenswürdigen Kameraden kennen, noch später aber wurde er als Denunziant, der seine Unglücksgenossen geringfügiger Vorteile halber verriet, entlarvt.
    Dieser blonde Mann vor ihm nun hatte die Bewegungen eines Menschen, der sich schwer verstellen kann, allerdings auch nicht überreich an konventionellen Hemmungen und ein wenig unbedenklich ist.
    Der Blonde bog in die Friedrichstraße ein, die er nordwärts ging. Krause folgte ihm mit äußerster Vorsicht. Immer rascher schritt der Blonde vorwärts, um schließlich in die Elsässerstraße einzuschwenken. Und nun spielte sich ein merkwürdiger Zwischenfall ab. An der Ecke der Elsässer- und Novalisstraße stieß der Blonde mit einer Frau zusammen, die zwei Kinder, einen Knaben von etwa fünf und ein um ein Jahr jüngeres Mädchen führte. Sie tat es aber in jener rücksichtslosen Weise, die gemieteten Personen Kindern gegenüber oft eigen ist; die Kinder waren müde, wurden mehr geschleift als geführt, die Sonne brannte unbarmherzig auf sie nieder, und gerade als der Blonde des Weges kam, begann der kleine Junge jämmerlich zu weinen und weigerte sich, weiter zu gehen. Die Frau, statt ihn gütlich zu beruhigen, gab ihm einen Schlag ins Gesicht, worauf das Kind noch lauter weinte, während das Mädchen mit entsetzten, weit aufgerissenen Augen dastand, um wohl im nächsten Augenblick auch loszuheulen. Der blonde Mann unterbrach sein Dahinstürmen, beugte sich zu dem Knaben, hob ihn hoch empor, setzte ihn auf den Arm und sprach so lustig und zärtlich auf ihn ein, daß sich das Kind sofort beruhigte und vergnüglich lachte. Das kleine Mädchen aber, entweder erschreckt über den Vorgang oder eifersüchtig, begann nun seinerseits jämmerlich zu heulen, und zwar gerade in dem Augenblick, als Krause auf die Gruppe gestoßen war. Und unwillkürlich tat Krause dasselbe wie der von ihm verfolgte Mann, er nahm die Kleine auf den Arm, streichelte ihr die heißen, feuchten Haare aus dem erhitzten
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