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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
Autoren: DeVa Gantt
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mit einem finsteren Blick, doch er achtete nicht weiter darauf, sondern setzte sich zu den Kindern an den Tisch, die ihn begeistert begrüßten. Charmaine blieb unschlüssig stehen, weil Paul und George noch unter der Tür standen und offenbar etwas zu besprechen hatten.
    John entging rein gar nichts. »Frühstücken Sie auch, Mademoiselle, oder wollen Sie nur zusehen? Sie stehen da wie ein armes Hündchen, das einen Bissen vom Tisch des Herrn ergattern möchte.«
    Der Vergleich schmerzte wie Salz in einer Wunde und machte Charmaines Vorfreude auf den schönen Tag endgültig zunichte. Sie nahm all ihren Mut zusammen und trat einen Schritt näher.
    »Wie konnte ich das nur vergessen!« John schob seinen Stuhl zurück. »Die Lady erwartet natürlich, dass ihr der Gentleman den Stuhl zurechtrückt. Da mein verehrter Bruder augenblicklich verhindert ist, muss ich das wohl tun!«
    Er kam um den Tisch herum und zog einen Stuhl hervor. Dann wedelte er mit der Serviette über das Polster und krönte seine Vorstellung mit einer unterwürfigen Verbeugung und der auffordernden Geste, doch bitte Platz zu nehmen. Charmaine tat es so gleichmütig wie möglich, doch als sie ihre Serviette entfaltete, bemerkte sie, dass Paul die Lippen zusammenpresste und sich nur mit Mühe beherrschte.
    John kehrte auf seinen Platz zurück und plauderte in regem Wechsel mit George und Rose und mit den Kindern. Das restliche Frühstück verlief ohne größere Zwischenfälle, bis Jeannette plötzlich Charmaines Brief an Loretta Harrington hervorzog.
    »Soll ich Joseph den Brief geben, damit er ihn zur Post bringt, Mademoiselle?«
    Charmaine zuckte zusammen. »Ja, bitte«, antwortete sie dann hastig.
    Zu spät! Johns Interesse war geweckt. Er zog eine Braue in die Höhe. Dieser Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Als Jeannette hinter Johns Stuhl vorbeigehen wollte, hielt er sie auf und nahm ihr den Umschlag aus der Hand. »Was haben wir denn da?«
    »Einen Brief, wie du ja wohl unschwer siehst«, bemerkte Paul ungehalten.
    »Einen Brief? Was du nicht sagst! Vielen Dank für die Aufklärung, lieber Bruder. Ich habe beinahe vergessen, wie ein Brief aussieht, aber Miss Ryan offenbar nicht, oder?«
    Charmaine erbleichte, als John sich mit dem Umschlag gegen die Lippen klopfte. »So, so. Mrs. Joshua Harrington in Richmond, Virginia. Harrington … Wo habe ich den Namen schon gehört? Ach ja … im vergangenen Jahr beim Treffen der Kaufleute. Joshua Harrington hat damals gegen die Tarife für Importe protestiert. Ich erinnere mich genau. Ein ziemlich ungeduldiger Mensch. Eher klein – und das nicht nur in körperlicher Beziehung.«
    »Ich hatte genau den gegenteiligen Eindruck«, wandte Paul ein.
    »Wie dem auch sei, Paul, aber groß kann man ihn wahrlich nicht nennen, oder?«, meinte John.
    George kicherte, doch Paul sah verdrießlich drein. »Ich spreche von seinem Charakter.«
    »Nicht doch, Paulie«, widersprach John. »Keine Ahnung, wie du zu dieser Meinung kommst. Bei unserem Gespräch hat er jedenfalls äußerst ungeduldig reagiert.«
    »Hast du dich vielleicht über ihn lustig gemacht?«
    »Weshalb sollte ich so etwas tun? Meiner Meinung nach hat der Mann keinen Humor. Das ist alles. In Anbetracht seines biblischen Vornamens habe ich ihm nur geraten, vor seiner nächsten Rede besser noch einmal Rücksprache mit Gott zu halten. Anschließend wollte er nichts mehr mit mir zu tun haben, was mir nur recht war.«
    Paul schloss die Augen und schüttelte entrüstet den Kopf.
    »Im Augenblick ist das wohl eher nebensächlich, nicht wahr, Mademoiselle?«, bemerkte John mit neuem Ernst. »Sie möchten diesen Brief zur Post geben, was normalerweise zu Josephs Aufgaben gehört. Da er jedoch das Chaos in meinem Zimmer beseitigen muss, erbiete ich mich freiwillig, den Brief an seiner Stelle zum Laden zu bringen.«
    »Wie edel von dir«, bemerkte Paul, bevor Charmaine überhaupt antworten konnte. »Aber vermutlich legt Miss Ryan Wert darauf, dass ihr Brief zuverlässig überbracht wird.«
    »Nicht doch, Paulie! Du willst mir doch wohl nicht unterstellen, dass ich ihn unterwegs verlieren könnte?«
    »Sagen wir es lieber so: Dazu bin ich zu höflich. Da du jedoch – im Gegensatz zu mir – heute nicht in die Stadt musst, werde ich den Brief mitnehmen.«
    »Auch wenn du es nicht für möglich hältst, Paulie, ich habe sehr wohl Besorgungen zu machen und muss außerdem noch eigene Briefe zur Post bringen. Wenn ich Miss Ryans Brief befördere, kann ich
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