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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger
Autoren: Willy Russell
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Fleischfetzen raus,
wie sehr ich auch lauthals jammerte,
sie stach mir beide Augen aus,
während ich sie fest umklammerte.
Und plötzlich war sie ein Skorpion,
zerstach die Arme mir.
Doch ich ließ sie immer noch nicht los,
zweifelte immer noch nicht an ihr.
Sie wurde zu jeder Plage und Not,
zu Atombombe, Hunger und Pest.
Sie trug die Fratze von Grauen und Tod,
doch ich hielt sie immer noch fest.
Dann wurde sie zur gleißenden Glut,
mit der uns die Sonne blendet,
und jetzt verließ mich fast der Mut –
da war meine Marter beendet.

    Wir schlenderten fröhlich Hand in Hand
und keine Ängste drohten
und niemand sah mir jetzt noch an,
dass ich kam aus dem Reich der Toten,
wo Tranquilizer alle Kraft
aus Hirn und Herz dir saugen –
denn jetzt gehörte ich dauerhaft
dem Mädchen mit den Kastanienaugen.

    RJM

Ein Parkplatz,
A 58,
am Stadtrand
von Halifax

    Lieber Morrissey,

    die verrückten Teppichleger haben mich hier rausgelassen. Als ich aus dem Lastwagen kletterte, zeigten sie auf die Stadt und sagten: »So, da wären wir, Pater. Endstation.«
    Ich schaute hinaus auf dieses Panorama aus Pizzerien, Fertighäusern mit Fassadenrauputz und verhunzten viktorianischen Gebäuden.
    »Das ist Halifax«, verkündete der Fahrer stolz.
    »Gut, dass Sie’s sagen«, erwiderte ich. »Ich hätt es fast mit Paris verwechselt!«
    Die zwei sahen mich missbilligend an. »Wollen Sie da hin?«, fragte einer von ihnen.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich, »ich wollte eigentlich nach Grimsby.«
    Erst sahen sich die beiden Teppichleger an. Und dann sahen sie voller Mitgefühl mich an. Danach klopfte mir einer von ihnen auf die Schulter und sagte: »Kein Problem, Pater, kein Problem!«
    Und sie versicherten mir, bevor sie weiterfuhren, dass mich bestimmt bald jemand mitnehmen würde. Ich kann nur hoffen, dass sie bessere Teppichprofis als Propheten sind! Ich sitze jetzt nämlich schon über zwei Stunden auf diesem verwahrlosten Parkplatz rum und kein Schwein hat mich mitgenommen – nur einmal fuhr ein frisierter Ford Sierra langsam an mir vorbei und zwei aufreizend gut gelaunte Idioten flegelten sich aus den Fenstern, gafften mich an und grölten: »Verpiss dich!« Dann kam ein Kleinbus voller Nonnen, der ebenfalls langsamer wurde, aber als ich mir meine Sachen schnappte und hinrannte, fuhr er weiter und die Barmherzigen Schwestern von Hebden Bridge lachten aus den Fenstern und zeigten mir den Stinkefinger. Da gab ich es auf und setzte mich unter das Straßenschild. So langsam glaube ich echt, ich hätt mit dem Bus nach Grimsby fahren sollen, wie ich’s meiner Mam gesagt hab. Aber irgendwie fand ich es per Anhalter romantischer; ein angemessener Tribut an meine letzten Tage der Freiheit. Doch so allmählich hab ich den Verdacht, dass es ein Fehler war, Vernunft und Vorsicht aufzugeben und mich auf einen Flirt mit der kapriziösen Nymphe des Abenteuers einzulassen.
    Ich hasse meinen Drecksonkel Jason! Vorhin hab ich mit Filzstift quer über das Straßenschild geschrieben: »Mein Onkel Jason ist ein Schuft und ein Dieb; er hat meiner Oma ihre Satellitenschüssel geklaut! Und jetzt glotzt er Sky TV, während meine Oma sich in ihrem Bleisarg in einem engen, feindseligen Grab wälzt!« Ich hasse meinen widerlichen Onkel Jason.Wenn er nicht wär, müsste ich nicht in dieses Drecksnest Grimsby fahren.
    Ja, ich weiß, vorhin hab ich gesagt, dass ich wegen dir nach Grimsby muss, Morrissey, aber ich wollte dir damit nicht die Schuld in die Schuhe schieben. Du hast bei all dem ja nur eine Zufallsrolle gespielt und ich spreche dich von jeder Schuld an meiner unfreiwilligen Flucht aus Failsworth frei. Was da passiert ist, war allein mein Fehler, das weiß ich. Ich hätt meiner Mam unter keinen Umständen deine Platten vorspielen dürfen. Aber meine Mam war so glücklich! An diesem Samstagabend war meine Mam total glücklich. Das hab ich daran gemerkt, dass sie einen Apfelkuchen backte – nach einem Delia-Smith-Rezept, das sie sich vom Bildschirmtext abgeschrieben hatte. Es waren Zimt und Nelken dran und Zitronenaroma und überhaupt lauter Sachen, die meine Mam normalerweise nie in einen Apfelkuchen reintut. Aber an diesem Abend war meine Mam glücklich. Wenn meine Mam nicht glücklich ist, bleibt der Herd kalt. Dann holt sie bloß irgendwas Tiefgefrorenes aus der Truhe und wärmt es in der Mikrowelle auf, ein freudloses, wenn auch zweckmäßiges, mechanisch ablaufendes Zubereitungsritual. Aber wenn sie Lust zum Backen hat, dann weiß ich,
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