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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger
Autoren: Willy Russell
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Ruhe«, sagte das Mädchen mit den Kastanienaugen. Und sie stand da und zitterte leicht wie ein im Flug abgeschossenes Vögelchen, in dessen Flügel eine Schrotkugel steckt.
    »Ja, mach, dass du weiterkommst! Lass das arme Mädchen in Ruhe!«, fuhr mich die Rentnerin an.
    »Und uns auch!«, sagte der Mann. »Schau dir das an!«, sagte er. »Schau bloß, was du angerichtet hast! Den Tee kann ich jetzt nicht mehr trinken. Da schwimmen ja lauter Körner und Obststückchen und alles mögliche Zeug drin rum!«
    Ich bot ihm an, einen neuen Tee zu besorgen. Und seiner Frau auch. Ich bot an, ihnen ein neues Frühstück zu bringen. »Und dir auch«, sagte ich zu dem Mädchen. »Dir hol ich eine neue Schale Müslimix.«
    Aber sie würdigte mich keines Blickes. Sie starrte nur vor sich auf den Tisch, als sei sie ganz in sich gekehrt. Und sie sagte: »Lass mich in Ruhe. Verschwinde. Hau ab.«
    Und daran, wie sie es sagte, merkte ich, dass es zwecklos war, ihr weiter zu widersprechen oder sie überzeugen zu wollen. Ich konnte nur noch murmeln, es tue mir Leid.
    Dann drehte ich mich um und ging weg und hätte mir vor Scham und Verlegenheit am liebsten eine Decke über den Kopf gezogen. Ich ging zu meinem Tisch zurück, schnappte mir meine Gitarre und meine Tasche und wollte einfach bloß weg. Aber plötzlich sah ich, dass sich diese wandelnde Obszönität von einem Fernfahrer mein Songbook geklaut hatte! Er hatte es aus meiner Tasche genommen und las meinen Brief an dich, Morrissey, er las ihn und lachte! Ich wollte ihm das Heft aus der Hand reißen, aber er war schneller und hielt es so hoch, dass ich nicht drankam. Und dabei spottete er die ganze Zeit: »Okay, Moby, immer mit der Ruhe, Moby. Was ist denn los, Moby Dick, hat sie dich nicht rangelassen?«
    Ich überlegte krampfhaft, was in einer solchen Situation wohl Oscar Wilde getan hätte, welch beißendes Epitheton er wohl geprägt hätte, um seinen Gegner zu demütigen, zu verletzen, zu vernichten … Aber da mir nichts einfiel, schnappte ich mir einfach eine Gabel und stieß sie dem Fettsack in die Hand. Er brüllte wie am Spieß und ließ mein Songbook fallen. Doch als ich mich bückte, um es aufzuheben, rammte er mir voll das Knie ins Gesicht. Ich sah nicht einfach nur Sterne; ich sah die Festbeleuchtung von Blackpool.
    Offenbar griffen an diesem Punkt die Teppichleger ein und konnten gerade noch verhindern, dass er mir auf dem Kopf herumtrampelte. Als ich wieder zu mir kam, führte mich einer der Teppichleger zur Tür und der andere trug meine Sachen hinterher. Als wir uns dem Tisch des schönen Mädchens näherten, sagte der Teppichleger, der meine Sachen trug, zu dem Teppichleger, der mich stützte: »Hey, der Kleinen da würde ich’s gern mal so richtig besorgen.«
    Und ich hörte sie so widerlich gröhlend lachen, wie das nur Männer können. Und als ich an ihr vorbeiging, hob das Mädchen mit den Kastanienaugen den Kopf und warf mir einen bitter enttäuschten Blick zu. Da blieb ich stehen, direkt vor ihrem Tisch, und sagte zu ihr: »Ich teile nicht ihre Gedanken und nicht ihr Tun. Du schätzt mich ganz falsch ein. Ich hab nämlich zufällig ein Zölibatsgelübde abgelegt!«
    Tja, und so kamen die Teppichleger auf die Idee, dass ich Priesteranwärter sei. Als mir der eine hinten auf den Lastwagen half, entschuldigte sich der andere, der meine Sachen trug, für seine derbe, schlüpfrige Bemerkung. Und jetzt sitze ich auf sechs Rollen geblümtem Plüschvelours und fahr die Bergkette der Penninen rauf. Und die Teppichleger benehmen sich wie Musterknaben und sagen dauernd »Pater« zu mir.
    Ich hab Gewissensbisse, weil ich behauptet habe, ich hätte ein Zölibatsgelübde abgelegt. Nicht wegen der Teppichleger, sondern wegen des Mädchens. Jetzt hab ich sie auch noch angelogen, Morrissey. Ich hab nämlich gar nicht extra ein Zölibatsgelübde abgelegt, sondern ich bin einfach so! Zölibatär! So ist das eben. Wasser ist nass. Gras ist grün. Raymond ist zölibatär. Und da dies eine unbestreitbare Tatsache ist, kann ich genauso gut so was wie eine Tugend draus machen. Einmal war ich samstags in der Stadt und da hab ich an der Wand von Kentucky Fried Chicken dieses Graffiti gesehen. Es lautete: »Raymond Marks hat es noch nie getan!« In der gleichen Nacht kam ich mit einer Spraydose zurück und schrieb: »Raymond Marks will es auch gar nicht tun!«
    Da hatte ich gerade den Artikel über dich gelesen, Morrissey, wo du dem Interviewer sagst, dass du ein »abgefallener
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