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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied
Autoren: Philpp Lahm
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noch mehr gefällt mir, dass wir nicht mehr so sicher verlieren, wie das Amen in der Kirche. Wir spielen hie und da unentschieden, und an guten Tagen gewinnen wir sogar.
    Meine Mitspieler sind meine Freunde. Würden wir nicht gemeinsam Fußball spielen, würden wir irgendetwas anderes aus-hecken. Aber wir kommen nicht dazu, denn Schule und Fußball nehmen den ganzen Tag in Anspruch.
    Auf Münchens Fußballplätzen treiben sich immer Nachwuchsscouts der großen Vereine herum. Sie schauen sich Spiele aller Jugendmannschaften an und versuchen, die vielversprechenden Jungs zu ihren Klubs zu lotsen. Viele Profikarrieren haben auf diese Weise begonnen.
    Eines Tages, ich bin gerade zehn geworden, spricht mich nach einem Spiel ein freundlicher Mann an. Ihm habe gefallen, wie ich die Mannschaft nach vorn trieb. Ob wir nicht noch ein bisschen auf dem Nebenplatz kicken wollen?
    Mit meinem Papa und zwei Kumpels kicken wir noch ein bisschen auf dem Nebenplatz. Der Mann schaut aufmerksam zu, wie wir den Ball behandeln, ihn stoppen und weiterspielen. Dann rückt er mit seinem Anliegen heraus. Ob ich nicht Lust hätte, zu 1860 München zu kommen? Wenigstens für ein Probe-
    training.
    »Hm«, sage ich. »Weiß nicht.«
    Aber dann interessiert mich doch, wie bei den Sechzigern trainiert wird. Obwohl ich fast sicher bin, dass ich nicht von der FT Gern Weggehen werde, fahre ich zum Probetraining nach Giesing.
    Das Erste, was ich sehe, ist der Zaun hinter dem Tor. Der hat große Löcher.
    »Nein«, sage ich. »Hier will ich nicht spielen.«
    Ein paar Wochen später treffen wir in der Meisterschaft der U12 auf die Löwen, genau auf die Mannschaft, bei der ich nicht spielen wollte. Wir verlieren 2:7, aber immerhin haue ich ihnen unsere beiden Tore rein.
    Es dauert ein Jahr, bis mir nach einem Spiel wieder ein Mann entgegenkommt, den ich nicht kenne.
    »Servus, Philipp. Hast du vielleicht Lust, zur U11 des FC Bayern zu kommen? Ich bin der Trainer.«
    Jetzt ist die Antwort nicht mehr so einfach. Mein Ehrgeiz hat ziemliche Fortschritte gemacht. Schon wenn ich zu Hause beim Mensch-ärgere-dich-nicht verliere, ist die Hölle los, und mit der FT Gern werden wir bei aller Freundschaft nichts Großes gewinnen. Hm.
    Wahrheitsgemäß antworte ich: »Ich weiß nicht.«
    Aber der Trainer ist hartnäckig. Er redet mit meinen Eltern. Die sind irgendwie geschmeichelt, aber sie warten ab, was der Bub sagt. Was ich sage.
    »Wir rufen Sie an.«
    Aber der Trainer lässt nicht locker. Er wirft eine Angelschnur mit einem fetten Köder nach mir aus.
    »Wenn du zum Probetraining kommst, darfst du im Olympiastadion den Balljungen machen.«
    Verdammt. Jetzt muss ich also doch zum Probetraining.
    Aber ich bleibe skeptisch. Die Vertrautheit unseres Fußballplatzes, der Geruch der Kabinen, der Spaß, den ich mit den Jungs habe - kriege ich beim FC Bayern etwas, was mir genauso viel wert ist? Wird das Training dort ein Kampf statt dem vertrauten Spaß in Gern? Und: bin ich überhaupt gut genug für den großen FC Bayern?
    Als mich die Mama zum Probetraining fährt, schaut sie mich vom Fahrersitz aus prüfend an. Sie merkt, dass ich nervös bin. Aber sie will mir die Peinlichkeit ersparen, es abzustreiten, deshalb schweigen wir.
    Ich weiß nicht, was ich mir erwartet habe, aber die Schülermannschaft des FC Bayern ist voll in Ordnung. Ein Spieler, der ein halbes Jahr älter ist als ich, nimmt mich sofort unter seine Fittiche. Er heißt Enzo. Sein kleiner Bruder Diego Con-tento wird Jahre später mit mir bei den Profis des FC Bayern spielen.
    Enzo ist sofort so was wie ein Verbündeter. Außerdem hat er die Aufgabe übernommen, mit mir ins Olympiastadion zu fahren und mich dort in die Pflichten eines Balljungen einzuweisen.
    Auf der Rückfahrt nach Gern habe ich das Gefühl, dass ich auch beim FC Bayern sehr schnell Freunde finden werde. Das Gefühl ist stärker als die Traurigkeit, dass ich meine Freunde von zu Hause in Zukunft nicht mehr so oft sehen werde. Als ich darüber nachdenke, merke ich, dass ich mich bereits entschieden habe. Ja, ich werde zum FC Bayern wechseln.
    Zum ersten Mal begreife ich, was Ordnung auf dem Platz ist. Unser Trainer Jan Pienta unterbindet alle Versuche, wie in Gern draufloszubolzen, mit einem Pfiff seiner Trillerpfeife. Er schärft jedem Spieler ein, die Position zu halten, die ihm zugewiesen ist, und sich an das Grundmuster zu halten, das unserem Spiel zugrunde liegt.
    Ich spiele auf der Position des Achters. Defensives Mittelfeld mit
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