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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
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in denen Katja auftauchte
     und ihm eine Spritze gab. Er wollte nur noch eines: in das gewohnte Vergessen sinken. Das tröstete und betäubte.
    Noch ein wenig, und er würde sich in eine gefügige, stumpfsinnige Kreatur verwandeln. Dieser Gedanke erreichte ihn an der
     fließenden Grenze zwischen Traum und Wachen, wenn sich gewohnte simple Dinge bis zur Unkenntlichkeit verzerren und man nichts
     mehr mitkriegt, weder von sich selbst noch von seiner Umgebung.
    Als er im Morgengrauen nach einer weiteren Portion unerquicklichen narkotischen Vergessens zu sich kam, sah er Katja neben
     seinem Bett sitzen. Sie hielt eine Spritze in der Hand.
    »Was willst du mir da spritzen?«
    »Ein Schmerzmittel, wie immer.«
    »Nicht nötig.«
    »Spinnst du?«
    »Ich will nicht an der Nadel hängen.« Er versuchte zu lächeln. »Ich kann das aushalten.«
    »Das kann man nicht aushalten!«, widersprach Doktor Awanessow, der nach einer Viertelstunde erschien, energisch. »Du wirst
     schreien und keinen schlafen lassen. Du musst keine Angst vor einer Gewöhnung haben. Morphium bekommst du seit drei Tagen
     nicht mehr. Wir wechseln die Präparate, jetzt kriegst du Promedol und Analgin.«
    »Nicht nötig. Ich werde es aushalten.«
    »Na schön«, seufzte Awanessow. »Heute Abend wirst du selber um ein Schmerzmittel bitten.«
    Sergej bat nicht darum, weder an diesem Abend noch am nächsten. Er gewöhnte sich an den Schmerz, freundete sich sogar mit
     ihm an. Der Schmerz war ehrlicher und sicherer als der süße künstliche Schlaf.

Viertes Kapitel
    »Verzeih mir, Ruben«, flüsterte Galina Katscherjan, während sie den ohnehin schneeweißen Herd scheuerte, »du weißt doch, wie
     sehr ich dich liebe, ich brauche niemanden außer dir. Du warst nicht da, ich war allein und krank. Stas wollte bloß kurz vorbeikommen,
     er hat mir Medikamente gebracht, dann hat er was getrunken und konnte nicht mehr Auto fahren, da hab ich ihm in Andrjuschas
     Zimmer das Bett gemacht. Es war nichts, wirklich, absolut nichts, er ist für mich wie ein Bruder, wir sind doch zusammen aufgewachsen.«
    Sie verbrachte den Tag in Tränen und unstetem Umherhastenin der Wohnung, fing verschiedene Hausarbeiten an, doch ihr fiel alles aus der Hand. Am Abend rief ihr Mann aus Petersburg
     an und teilte mit, er müsse noch ein paar Tage länger bleiben.
    In der Nacht hatte sie Alpträume. Ruben im roten Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln hielt den blutüberströmten Kopf von Stas
     an den Haaren und bleckte die weißen Zähne. Am Morgen rief Galina ihre Freundin Marina an. Sie ertrug ihre Ängste nicht länger
     allein.
    »Interessant … Hör mal, sie könnten zuallererst deinen Ruben verdächtigen. Angenommen, er wußte von eurem Verhältnis und hat
     jemanden beauftragt, Stas umzubringen.«
    »Nicht doch! Ruben kann davon nichts gewusst haben.«
    »Ach nein? Du schläfst mit Stas, schon seit zehn Jahren!«
    »Fünfzehn«, korrigierte Galina mechanisch. »Aber wir treffen uns nicht regelmäßig.«
    »Das spielt keine Rolle. Ihr trefft euch, und dein Mann, der gute Engel, soll davon keine Ahnung haben … Nein, Galja, entweder
     dein Ruben ist ein Idiot, oder du bist eine Idiotin.«
    Galina war zu nervös, um beleidigt zu sein, und überhörte die »Iditotin«. Aber die Vermutung, ihr Mann könne verdächtigt werden,
     gab ihr den Rest. Sie weinte bitterlich in den Hörer.
    »Schon gut, beruhige dich. Ich komme gleich zu dir, wir besprechen alles und lassen uns was einfallen.«
    Marina wohnte im Nachbarhaus und klingelte schon nach zwanzig Minuten an der Wohnungstür. Groß und kräftig, mit einem mächtigen
     Leib und dicken Gliedmaßen, mit einer Mähne roter Locken, starr wie Kupferdraht, füllte sie den gesamten Flur aus. Sie streifte
     die abgetragenen Turnschuhe ab, stampfte in Socken in die Küche, schaltete im Vorbeigehen den Wasserkocher ein und setzte
     sich mit untergeschlagenen Beinen auf die Bank.
    »Krieg ich was zu futtern? Ich hab noch nicht gefrühstückt.« Sie griff nach einer dünnen bunten Zeitschrift auf dem Fensterbrett,
     blätterte darin, ohne genau hinzusehen, warf sie wieder weg, zog einen Zahnstocher aus einer Keramikdose, zerbröselte ihn
     und nahm sich sofort den nächsten. Ihre Hände waren ständig in Bewegung, unaufhörlich waren sie am Nesteln, Knüllen, Zupfen
     und Rupfen. Ihre runden hellbraunen Augen aber konnten sehr lange, ohne zu blinzeln, einen Punkt fixieren, wobei nur das rechte
     Lid kaum spürbar zuckte.
    Den nervösen Tick hatte
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