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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner
Autoren: Carre
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darum machen. Und hat es deshalb auch nicht getan. Hat sich lieber bei der Heilsarmee eingekleidet. Wenn man sie ließ.«
    »Und eine dieser längeren Safarijacken. In Blau.«
    »Oh, diese scheußlichen Dinger hat sie absolut gehasst«, entgegnete Justin, der mit einem Wortschwall seine Sprechfähigkeit zurückgewann. »Sie sagte, wenn ich sie je in solchen Khakiklamotten mit Taschen auf den Schenkeln erwischen würde, sollte ich es verbrennen oder Mustafa schenken.«
    Mustafa war ihr Hausdiener, erinnerte Woodrow sich. »Laut Polizei ist es blau.«
    »Sie konnte Blau nicht ausstehen .« Justin war offenbar kurz davor, die Fassung zu verlieren. »Sie hat alles Paramilitärische gehasst.« Bereits in der Vergangenheitsform, vermerkte Woodrow. »Eine grüne Safarijacke hatte sie mal, zugegeben. Die hatte sie bei Farbelow’s in der Stanley Street gekauft. Ich war mit hingegangen, weiß nicht warum. Hatte mich wahrscheinlich drum gebeten. Konnte Einkaufen nicht ausstehen. Sie hat sie anprobiert und sofort Zustände gekriegt. ›Sieh dir das bloß an‹, meinte sie. ›Wie General Patton in Frauenklamotten.‹ Nein, Sportsfreund, hab ich zu ihr gesagt, nicht wie General Patton. Wie ein wunderhübsches Mädchen, das eine verdammt scheußliche grüne Jacke trägt.«
    Er begann seinen Schreibtisch aufzuräumen. Gründlich. Endgültig. Öffnete Schubladen und schloss sie wieder. Packte die Ablagekörbe in den Stahlschrank und verschloss ihn. Und zwischendurch strich er sich immer wieder die Haare nach hinten, ein Tick, der Woodrow von jeher auf die Nerven gegangen war. Vorsichtig schaltete Justin den verhassten Computer aus – stieß mit dem Zeigefinger nach dem Knopf, als fürchtete er, gebissen zu werden. Es ging das Gerücht, dass Ghita Pearson ihm jeden Morgen das Gerät einschalten musste. Woodrow beobachtete, wie Justin sich ein letztes Mal blicklos im Zimmer umsah. Ende der Amtszeit. Ende des Lebens. Hinterlassen Sie Ihren Platz bitte so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen. An der Tür drehte Justin sich um und sah nachdenklich zu den Pflanzen auf der Fensterbank hinüber. Vielleicht überlegte er, ob er sie mitnehmen oder zumindest Anweisungen für ihre Pflege hinterlassen sollte. Doch er tat weder das eine noch das andere.
    Woodrow, der Justin den Flur entlang begleitete, verspürte den Impuls, seinen Arm zu nehmen, gleichzeitig empfand er einen solchen Widerwillen, dass seine Hand zurückzuckte, noch bevor er Justin berührte. Dennoch hielt er sich bereit, ihm notfalls beizuspringen, falls er ins Taumeln geriet oder stolperte, denn Justin erweckte mittlerweile den Eindruck eines gut gekleideten Schlafwandlers, dem jegliches Richtungsgefühl abhanden gekommen ist. Sie bewegten sich langsam und einigermaßen geräuschlos vorwärts, aber Ghita musste sie trotzdem gehört haben, denn als sie an ihrer Tür vorbeikamen, trat sie heraus und ging auf Zehenspitzen ein paar Schritte neben Woodrow her. Die goldenen Haare zurückhaltend, damit sie ihn nicht streiften, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Er ist verschwunden. Sie suchen überall nach ihm.«
    Doch Justins Gehör war besser, als sie beide erwartet hätten. Vielleicht war auch seine Wahrnehmung durch die emotionale Ausnahmesituation geschärft.
    »Sie machen sich Sorgen um Arnold, nehme ich an«, sagte er zu Ghita, im Ton eines hilfsbereiten Passanten, der einem den Weg zeigt.
    ***
    Der Hochkommissar war ein hagerer, außergewöhnlich intelligenter Mann, der ständig irgendwelche Studien betrieb. Er hatte einen Sohn, der bei einer Handelsbank arbeitete, eine kleine Tochter namens Rosie, die einen schweren Hirnschaden hatte, und eine Frau, die, wenn sie in England weilte, als Friedensrichterin tätig war. Er liebte sie alle gleichermaßen, und an den Wochenenden verbrachte er jede Minute mit Rosie. Irgendwie war Coleridge selbst jedoch an der Schwelle zum Mann stehen geblieben. Er trug gern weite Oxford-Hosen mit Hosenträgern wie ein Jüngling. Das passende Jackett hing hinter der Tür auf einem Bügel mit seinem Namen: P. Coleridge, Balliol. Er verharrte in der Mitte seines großen Büros, den Kopf mit dem zerzausten Haar Woodrow zugeneigt, während er ihm zornig zuhörte. Tränen standen ihm in den Augen, liefen ihm über die Wangen.
    » Scheiße «, stieß er so heftig hervor, als hätte er schon lange darauf gewartet, sich das Wort von der Seele zu schaffen.
    »Ich weiß«, sagte Woodrow.
    »Das arme Mädchen. Wie alt war sie denn? Zu jung.«
    »Fünfundzwanzig.«
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