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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch
Autoren: Johannes Tralow
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einem Ungläubigen, einem serbischen Edelmann, ermordet worden. Das sei inzwischen anders geworden. Längst habe man - die Janitscharen voran! - jede Scheu verloren, sich am geheiligten Leben eines Padischah zu vergreifen, und aus einer Absetzung mache man sich überhaupt nichts mehr. Es war für Beschir nicht einfach gewesen, sich zu der Überzeugung durchzuringen: alles, was jetzt gewohnheitsmäßig geschehe und was der Mensch einer früheren Zeit als ungeheuerlich bezeichnet hätte, stelle im Grunde nur eine neue Gesetzmäßigkeit dar, eine Befreiung aus Ausweglosigkeiten, die durch das Versagen jeweils eines einzigen Menschen entstanden seien und nur durch die Beseitigung dieses einzelnen behoben werden können.
    Es war für Beschir nicht leicht gewesen, zu einer derartigen Überzeugung zu gelangen. Aber jetzt hatte er sie.
    Besonders in den letzten Tagen waren Beschirs Gedanken immer wieder mit der Frage beschäftigt gewesen: Ob die Türkei, die doch keine gesetzliche Ungleichheit wie das Abendland kenne, sondern nur die Gleichheit aller vor dem Koran, trotzdem oder deswegen eine Alleinherrschaft habe und haben müsse?
    Indessen verbreitete sich Ibrahim Pascha über die Mittel, den persischen Wirren ein Ende zu bereiten, über Mittel, von denen er genau wußte, wie ungeeignet sie waren. Und doch werde der Großwesir erwarten, dachte Beschir, daß sie, der Mufti und er, Beschir selbst, auch fernerhin diese Afterpolitik unterstützen würden, der Mufti mit seiner Geistlichkeit bei der Truppe - er selbst beim Padischah. Allerdings war Ahmed durch Ibrahims elegante und gefällige Phrasen bereits überzeugt; aber die Bestätigung durch seinen Kislar vermißte er, weil er ihn für klug hielt, nur ungern. Auch war er dieser Bestätigung von vornherein sicher. Ohne sich darüber klar zu sein, empfand er sie als ein angenehmes Beruhigungsmittel, was da zu sein habe, wenn es ihn danach verlange. Er war Kaiser, und infolgedessen kam er auch gar nicht auf den Gedanken, daß er im Begriff sei, seine Macht - und vielleicht sein Leben! - gegen das Leben eines Eunuchen einzusetzen, der bereit war, für das, wofür er gelebt hatte, auch zu sterben: für das Osmanische Reich. Mit der Familiarität so langer Jahre und einer Herablassung, die zugleich warb, wandte er sich an Beschir.
    „Ist er nicht großartig, unser Ibrahim?“ fragte er. „Sagen Sie selbst, Beschir. Sie gehören zu meinen Intimsten, und ich will auch Ihre Meinung hören.“
    Trotz dieser saloppen Art seines Herrn verneigte Beschir sich sehr tief.
    „Befehlen Euer allerhöchste Majestät meine ehrliche und ganz aufrichtige Meinung?“
    Etwas unangenehm berührt war der Sultan. Wisse der Kislar denn nicht, daß ein Befehl der Majestät unabänderlich sei? Warum also die Frage? Ahmed richtete sich auf, wodurch er das Gefühl seiner eigenen Erhabenheit wiedergewann.
    „Ich befahl es bereits“, sagte er trocken. „Ihre Meinung will ich hören, Ihre ungeschminkte Meinung.“
    Beschir erhob sich aus seiner Verneigung. Bei den unwissenden kleinen Leuten, deren Leben so fernab vom Serail verlief, daß sie um so mehr von ihm sprachen, je weniger sie von ihm wußten, hatte sich unausrottbar die Meinung von der Dicke der Eunuchen festgesetzt. Tatsächlich hatte es auch solche gegeben, wie Kaiser Solimans berühmten Großwesir Suleiman. Die Verfahren bei einer Verschneidung waren jedoch mannigfaltiger Art, und wenn sie auch alle die Zeugungsfähigkeit beseitigten, so waren ihre anderen Wirkungen doch sehr verschieden. Jedenfalls ähnelte Beschir mehr dem hageren Narses, Justinians großem Feldherrn, der auch ein Eunuch gewesen war.
    Einen andern als Beschir hätte man einen Greis genannt. Bekrönt vom grünen Turban des Mekkapilgers stand er, Beschir, in seinem gelben Kaftan mit dem weißen Gürtel seiner Würde wie eine schlanke Säule dunkel vor dem heiteren Licht des vielfarbigen Fensters.
    „Mein Padischah“, begann er, „ich gehorche einem Edlen Befehl Euer Majestät mit dem untertänigen Geständnis, daß ich der erhabenen Weisheit Seiner Hoheit des Großwesirs nicht ganz zu folgen vermag.“ Ahmed runzelte die Brauen, und es bedeutete alles andere als Billigung, daß er seinem Kislar das ihm gebührende Prädikat gab.
    „Und ich, Exzellenz“, meinte er, „verstehe nun wieder Sie nicht recht. Die schändlichen Zettel, die in den Moscheen abgeworfen wurden, besagen gar nichts. Die Stimmung der Truppen ist, wie man versichert, ausgezeichnet. Sie haben doch
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