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Der Eroberer

Der Eroberer

Titel: Der Eroberer
Autoren: Michael Moorcock
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Toten im
Keller nur phantasiert zu haben.
Es war sinnlos.

Der Eroberer

    1. Kapitel

    Er glaubte mehr zu sein als ein einzelner Mensch, mehr sogar noch als ein Gott. Zahllose Wesenheiten schienen in ihm zu wirken und nach Selbständigkeit zu streben. Jedes Glied, jede Knochenwulst schien einem anderen Sein anzugehören. Er lag schwitzend auf einem Lager aus Fellen, den unzähm baren Regungen von Geist und Körper machtlos ausgeliefert. Alexander der Große ächzte unter Qualen.
    Die dralle Frau aus Korinth spuckte auf den dreckigen Boden
der Taverne.
»Das ist für den Gott-König!«
    Aber das Schweigen um sie herum hinderte sie daran, im Thema fortzufahren. Der Thraker, bekannt als Simon von Byzanz, hob einen bronzenen Becher. Der seidene Saum des Ärmels glitt über den gebräunten Arm nach oben, als er sich den süßen Perserwein in die Kehle stürzte. Er spürte das Unbehagen, das die Frau bei den anderen Zechern ausgelöst hatte. Weil er vorsichtig war, nahm er den Arm von ihrer strammen Taille und stieß sie von sich.
    Er schielte an seiner langen Nase herunter, wandte das vernarbte Gesicht einem persischen Soldaten zu und lächelte. »Du behauptest also, in Darius’ Armee gegen Alexander gekämpft zu haben.«
    »Stimmt … als Wagenlenker. Seine Kavallerie hatte uns in
die Zange genommen.«
»Was hältst du von ihm?«
    »Alexander? Ich weiß nicht. Einmal bin ich ganz in seiner Nähe gewesen. Ich konnte sehen, wie ein Lanzenträger auf ihn zielte und seinen Schenkel traf. Er schrie … aber nicht aus Schmerz, sondern weil er sein eigenes Blut sah, was er nicht wahrhaben wollte. Als er auf seinen Schenkel hinabblickte und das Blut befingerte, war er für kurze Zeit ohne jede Deckung. Dann schrie er etwas … ich verstand die Sprache nicht … und hatte gleich wieder die Beherrschung über sich gewonnen. Man sagt, daß die Wunde ungewöhnlich schnell verheilte.« »Er behauptet, der Sohn des Zeus zu sein«, sagte die Korintherin, die sich in einen Winkel zurückgezogen hatte, »aber viele Perser sagen, daß er der üblen Brut des Ahriman entstammt.«
    Simon schürzte die Lippen und drehte den Weinbecher in den Händen. »Vielleicht ist er doch nur ein Sterblicher«, meinte er, »ein Sterblicher mit übernatürlicher Kraft.«
    »Vielleicht«, sagte der persische Soldat. »Ich weiß nur, daß er die Welt erobert hat.«
    »Wie ich hörte, rückte er auf seinem Indienzug nur bis zum Indus vor … warum eigentlich?« fragte Simon.
    »Die Mazedonier sagen, sie hätten ihn dazu gezwungen. Aber das kann ich nicht glauben. Auch Alexander wird einmal müde; das ist meine Theorie. Ich glaube, er brauchte eine Rast, um sich auszuruhen. Während des langen Marsches hatte er kaum geschlafen. Wie unter einem Eroberungszwang ist er immer weitergezogen. Wer weiß, was ihn dazu angetrieben hat? Wer weiß, warum er seinen Siegeszug für kurze Zeit unterbrach?«
    »Die Inder leben nach einer alten, mächtigen Religion, von der wir nur wenig wissen«, sagte ein dunkelhäutiger Händler mittleren Alters aus Karthago. »Ob ihre Götter stärker sind als unsere? Stärker als Alexander?« Er zupfte an seinem graumelierten Bart. Seine Ringe funkelten im schwachen Licht der Taverne.
    »Solche Worte sind heutzutage lästerlich«, wiegelte der Perser ab, doch seiner Miene war zu entnehmen, daß er diesen Gedanken nicht abwegig fand.
    »Alle reden über den Mazedonier«, sagte der Händler. »Vom Bosporus bis zum Nil haßt oder verehrt man ihn. Aber was ist so besonders an ihm, außer, daß er Glück hatte? Die Ereignisse haben ihn gemacht, nicht umgekehrt. Er verdankt viel seinem weitsichtigen Vater König Philipp und seiner verschrobenen Mutter Königin Olympias. Beide haben auf ihre Weise die Welt für seine Eroberungen vorbereitet. Worin, zum Beispiel, könnte wohl der Grund für seine Streifzüge durch Persien vor einigen Jahren gelegen haben? Warum seine wilde Hetzjagd auf Darius, statt weiterzuziehen? Es gab nur einen Grund: Die Zeit war noch nicht reif für ihn.«
    »Über große Männer denke ich gern in ähnlicher Weise«, lächelte Simon. »Trotzdem würde ich mich der günstigen Umstände wegen seiner Armee gern anschließen.«
    »Deshalb bist du also in Babylon. Ich wunderte mich schon, mein Freund. Woher kommst du?« Der Karthager füllte den Becher mit Wein aus einem Schlauch.
    »Ich bin in Thrakien geboren, aber von einer Familie aus Byzanz aufgenommen worden. Dort habe ich sieben Jahre als Hauptmann der Infanterie
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