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Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
Autoren: Ursula K LeGuin
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verbracht zu lernen, sich zu entscheiden, das zu tun, wozu er keine andere Wahl hatte.«
    »Ich wünschte, er wäre jetzt hier«, sagte Onyx.
    »Er ist fertig mit Tun«, murmelte der Türwächter lächelnd.
    »Aber wir nicht. Wir sitzen hier am Rand des Abgrunds und reden - wir alle wissen das.« Onyx schaute in ihre von den Sternen beleuchteten Gesichter. »Was wollen die Toten von uns?«
    »Was wollen die Drachen von uns?«, entgegnete Spiel. »Diese Frauen, die Drachen sind, Drachen, die Frauen sind - warum sind sie hier? Können wir ihnen trauen?«
    »Haben wir eine Wahl?«, fragte der Türwächter.
    »Ich glaube nicht«, sagte der Formgeber. Eine gewisse Schärfe war in seine Stimme gekommen. »Wir können nur folgen.«
    »Den Drachen?«, fragte Spiel.
    Azver schüttelte den Kopf. »Erle.«
    »Aber er ist kein Führer, Formgeber!«, sagte Spiel. »Ein Dorf-Heiler?«
    Onyx sagte: »Erle besitzt Klugheit, aber in den Händen, nicht im Kopf. Er folgt seinem Herzen. Gewiss trachtet er nicht danach, uns zu führen.«
    »Doch wurde er unter uns allen auserkoren.«
    »Wer erkor ihn aus?«, fragte Seppel leise.
    Der Formgeber gab ihm die Antwort: »Die Toten.«
    Wieder kehrte Schweigen ein. Das Zirpen der Grillen war verstummt. Zwei hoch gewachsene Gestalten bewegten sich durch das grau im Licht der Sterne schimmernde Gras auf sie zu. »Dürfen Brand und ich uns eine Weile zu euch setzen?«, fragte Lebannen. »Heute Nacht findet keiner Schlaf.«
     
    Auf der Türschwelle des Hauses auf dem Oberfell saß Ged und beobachtete die Sterne über dem Meer. Er war vor etwas mehr als einer Stunde zum Schlafen ins Haus gegangen, aber als er die Augen geschlossen hatte, hatte er den Hang auf dem Hügel gesehen und die Stimmen gehört, die sich wie eine Flutwelle erhoben hatten. Sofort war er aufgestanden und nach draußen gegangen, wo er sehen konnte, wie die Sterne sich bewegten.
    Er war müde. Seine Augen würden jeden Moment zufallen, und dann würde er dort sein bei der steinernen Mauer, sein Herz kalt vor Furcht, dass er dort für immer würde verharren müssen, weil er den Rückweg nicht kannte. Schließlich stand er wieder auf, ungeduldig und krank vor Angst, holte eine Laterne aus dem Haus, zündete sie an und machte sich auf den Weg zu Moos' Haus. Sie würde vielleicht keine Furcht haben; sie lebte dieser Tage ziemlich nah bei der Mauer. Aber Heide würde in Panik geraten, und Moos würde sie nicht beruhigen können. Und da nicht er es war, der dieses Mal tun konnte, was immer getan werden musste, konnte er zumindest gehen und die arme Blöde trösten. Er konnte versuchen ihr einzureden, dass es bloß Träume waren.
    Es war schwer, im Dunkeln zu gehen; die Laterne warf große Schatten von kleinen Dingen auf den Pfad. Er kam langsamer voran, als ihm lieb war, und ein paar Mal stolperte er.
    Trotz der späten Stunde sah er Licht im Haus der Witwe. Ein Kind jammerte drüben im Dorf. Mutter, Mutter, warum weinen die Leute? Warum weinen die Leute, Mutter? Auch dort fand niemand Schlaf. Überhaupt würde heute Nacht kaum jemand in der Erdsee Schlaf finden, dachte Ged. Er musste ein wenig grinsen, als er daran dachte; denn er hatte diese Ruhe immer geliebt, diese furchtbare Ruhe, den Augenblick, bevor sich die Dinge veränderten.
     
    Erle erwachte. Er lag auf der Erde und fühlte ihre Tiefe unter sich. Über ihm leuchteten die hellen Sterne, die Sterne des Sommers. Sie bewegten sich zwischen Blatt und Blatt mit dem Wehen des Windes, bewegten sich von Ost nach West mit der Drehung der Erde. Er beobachtete sie eine Weile, bevor er sie wieder losließ.
    Tehanu wartete auf ihn auf dem Hügel.
    »Was müssen wir tun, Hara?«, fragte sie ihn.
    »Wir müssen die Welt heil machen«, sagte er. Er lächelte, weil sein Herz endlich leicht geworden war. »Wir müssen die Mauer niederreißen.«
    »Können sie uns helfen?«, fragte Tehanu, denn die Toten hatten sich versammelt und warteten unten in der Dunkelheit, so zahllos wie Gras oder Sand oder Sterne. Sie waren jetzt verstummt, ein großer, dunkler Strand von Seelen.
    »Nein«, antwortete er, »aber vielleicht die anderen.« Er ging den Hügel hinunter zu der Mauer. Sie war an dieser Stelle kaum mehr als hüfthoch. Er legte seine Hand auf einen der Steine der Mauerkappe und versuchte ihn zu lockern. Er war fest verankert - oder schwerer, als ein Stein es sein sollte; er konnte ihn nicht heben, konnte ihn überhaupt nicht bewegen.
    Tehanu kam an seine Seite. »Hilf mir«, bat er. Sie
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