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Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
Autoren: Ursula K LeGuin
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ein Wesen, das ganz aus Feuer bestand, lichterloh brennend, wunderschön.
    Sie schrie laut auf, ein klarer, wortloser Schrei. Dann stieg sie geschwind empor, hinauf in den Himmel, wo das Licht jetzt rasch schwoll und wo ein weißer Wind die nichts sagenden Sterne getilgt hatte.
    Aus den Heerscharen der Toten verwandelten sich hier und da welche wie sie in lodernde Drachen und stiegen zum Himmel empor.
    Die meisten aber kamen zu Fuß. Sie drängelten jetzt nicht mehr, schrien auch nicht, sondern bewegten sich mit gelassener Gewissheit und Zielstrebigkeit auf die Breschen in der Mauer zu: riesige Massen von Männern und Frauen, die, als sie die niedergerissene Mauer erreichten, keine Sekunde zögerten, sondern über sie hinwegstiegen und sofort verschwanden: eine Staubwolke, ein Atemhauch, der kurz im rasch heller werdenden Licht aufleuchtete.
    Erle beobachtete sie. Er hielt immer noch einen längst vergessenen kleinen Stein in der Hand, den er aus der Mauer herausgebrochen hatte, um damit einen größeren Stein frei zu kratzen. Er schaute zu, wie die Toten einer nach dem ändern frei wurden. Und dann sah er endlich sie zwischen ihnen. Er warf den Stein fort und trat ihr entgegen. »Lily«, sagte er. Sie sah ihn und lächelte und streckte ihm die Hand entgegen. Er nahm ihre Hand, und sie gingen zusammen hinüber in das Sonnenlicht.
     
    Lebannen stand an der niedergerissenen Mauer und schaute zu, wie der Himmel im Osten sich aufhellte. Es gab jetzt einen Osten, wo es zuvor keine Richtung gegeben hatte, kein Ziel. Es gab Osten und Westen und Licht und Bewegung. Der Erdboden selbst bewegte sich, bebte, zitterte wie ein riesiges Tier, sodass die Steinmauer auch abseits der Stellen, an welchen sie sie durchbrochen hatten, erbebte und in sich zusammenfiel. Feuer barst aus den fernen, schwarzen Gipfeln des Gebirges, das Pein genannt wurde, das Feuer, das im Herzen der Welt brennt, das Feuer, das Drachen nährt.
    Er blickte in den Himmel über jenem Gebirge und sah, so wie er und Ged sie einst über dem westlichen Meer gesehen hatten, die Drachen auf dem Wind des Morgens fliegen.
    Drei von ihnen kamen zu ihm geflogen, dorthin, wo er zwischen den anderen nahe der Kuppe des Hügels stand, oberhalb der zerstörten Mauer. Zwei von ihnen kannte er, Orm Irian und Kalessin. Der dritte hatte einen golden glänzenden Panzer und goldene Schwingen. Er flog am höchsten und beugte sich nicht zu ihnen herunter. Orm Irian umschwirrte ihn spielerisch in der Luft, und dann flogen sie zusammen, einander jagend, immer höher, bis mit einem Schlag die höchsten Strahlen der aufgehenden Sonne auf Tehanu fielen und sie erstrahlte wie ihr Name, ein großer, leuchtender Stern.
    Kalessin drehte einen Kreis, schwebte herab und landete inmitten der Trümmer der zerstörten Mauer.
    »Agni Lebannen «, sagte der Drache zum König.
    »Ältester«, sagte der König zum Drachen.
    »Aissadan verw nadannan«, sagte die mächtige, zischende Stimme, die klang wie ein Meer von Zimbeln.
    Neben Lebannen stand stark, massig und fest Brand, der Meister des Gebietens von Rok. Er wiederholte die Worte des Drachen in der Sprache des Erschaffens, und dann sprach er sie auf Hardisch: »Was getrennt war, ist getrennt.«
    Der Formgeber stand in der Nähe; sein Haar leuchtete hell im Licht des Morgens. Er sprach: »Was gebaut ward, ist zerbrochen. Was zerbrochen war, ist wieder ganz.«
    Dann schaute er mit sehnsuchtsvollem Blick zum Himmel, zu dem güldenen Drachen und dem bronzefarbenen; aber sie waren schon fast außer Sicht, flogen jetzt in weiten Kreisen über das abfallende Land, wo leere Schattenstädte im Licht des Tages zu nichts verblassten.
    »Ältester«, sagte er, und der lang gestreckte Kopf schwang langsam zu ihm herum.
    »Wird sie manchmal dem Weg zurück durch den Wald folgen?«, fragte Azver in der Sprache der Drachen.
    Kalessins unergründliches gelbes Auge betrachtete ihn. Der riesige Mund schien wie der einer Eidechse über einem Lachen geschlossen zu sein. Er sprach nicht.
    Dann wand sich Kalessin, er wälzte schwerfällig seinen mächtigen Körper über die Mauer, sodass Steine, die noch aufeinander lagen, wegrutschten und knirschend unter seinem eisernen Bauch zermahlen wurden, und unter mächtigem Rauschen und Rasseln seiner gewaltigen Schwingen hob er von dem Hang ab und flog tief über das Land auf die Berge zu, deren Gipfel jetzt leuchteten von Rauch und weißem Dampf, Feuer und Sonnenlicht.
    »Kommt, Freunde«, sagte Seppel mit seiner sanften
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