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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Autoren: Stephen King
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wilden Schopf roten Haares, das ihm fast bis zur Taille reichte, jätete mit emsiger Hingabe ein karges Getreidefeld. Das Maultier gab ein pfeifendes Schnauben von sich, und der Bewohner sah auf, seine strahlendblauen Augen erblickten den Revolvermann binnen eines Augenblicks zielsicher. Er hob beide Hände zu einem höflichen Gruß, dann beugte er sich wieder seinem Getreide zu; er jätete die Reihe direkt neben seiner Hütte mit gekrümmtem Rücken, wobei er ab und zu Teufelsgras oder eine gelegentliche verkümmerte Getreidepflanze über die Schulter warf. Sein Haar flatterte und wehte im Wind, der jetzt direkt aus der Wüste wehte, weil nichts mehr da war, ihn aufzuhalten.
    Der Revolvermann kam langsam den Hügel herunter und führte den Esel, auf dessen Rücken die Wasserschläuche platschten. Er blieb am Rand des leblos aussehenden Getreidefeldes stehen, trank einen Schluck aus einem der Schläuche, um die Speichelbildung anzuregen, und spie auf den ausgetrockneten Boden.
    »Leben für deine Saat.«
    »Leben für deine eigene«, antwortete der Grenzbewohner und richtete sich auf. Sein Rücken knackte hörbar. Er musterte den Revolvermann furchtlos. Das bißchen Gesicht, das zwischen Haar und Bart zu sehen war, schien frei von Fäulnis zu sein, und seine Augen waren zwar ein wenig wild, schienen aber vernünftig zu sein. »Ich habe nichts, außer Getreide und Bohnen«, sagte er. »Getreide ist umsonst, aber für die Bohnen wirst du was ausspucken müssen. Ein Mann bringt sie ab und zu vorbei. Er bleibt nicht lange.« Der Grenzbewohner lachte kurz. »Er hat Angst vor Gespenstern.«
    »Ich nehme an, er hält dich für eines.«
    »Das nehme ich auch an.«
    Sie sahen einander einen Augenblick schweigend an.
    Der Grenzbewohner streckte die Hand aus. »Mein Name ist Brown.«
    Der Revolvermann schüttelte die Hand. Als er das tat, krächzte auf dem flachen Giebel des Lehmdachs ein dürrer Rabe. Der Grenzbewohner deutete mit einer knappen Geste auf ihn.
    »Das ist Zoltan.«
    Als er seinen Namen hörte, krächzte der Rabe erneut und flog zu Brown herüber. Er landete auf dem Kopf des Grenzbewohners und nistete sich mit fest in dem Haarschopf verkrallten Klauen dort ein.
    »Scheiß auf dich«, krächzte Zoltan fröhlich. »Scheiß auf dich und das Pferd, auf dem du geritten bist.«
    Der Revolvermann nickte liebenswürdig.
    »Bohnen, Bohnen, das musikalische Gemüse«, rezitierte der Rabe inspiriert. »Je mehr du frißt, desto mehr du furzt.«
    »Bringst du ihm das bei?«
    »Ich schätze, mehr will er nicht lernen«, sagte Brown. »Ich habe einmal versucht, ihm das Vaterunser beizubringen.« Sein Blick wanderte einen Moment über die Hütte hinaus zu der verkrusteten, konturlosen Wüste. »Dies ist wohl nicht das Land für das Vaterunser. Du bist ein Revolvermann. Stimmt das?«
    »Ja.« Er beugte sich hinab und nahm seine Rauchutensilien heraus. Zoltan stieß sich von Browns Kopf ab und landete flügelschlagend auf der Schulter des Revolvermannes.
    »Schätze, du bist hinter dem anderen her.«
    »Ja.« Sein Mund formte die unausweichliche Frage: »Wie lange ist es her, seit er vorbeigekommen ist?«
    Brown zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Ist ‘ne komische Sache mit der Zeit hier draußen. Mehr als zwei Wochen. Weniger als zwei Monate. Der Bohnenmann war zweimal hier, seit er vorbeigekommen ist. Ich würde sagen, sechs Wochen. Aber das stimmt wahrscheinlich nicht.«
    »Je mehr du ißt, desto mehr du furzt«, sagte Zoltan.
    »Hat er Rast gemacht?« fragte der Revolvermann.
    Brown nickte. »Er blieb zum Essen, wie du es wohl auch machen wirst. Wir haben uns die Zeit vertrieben.«
    Der Revolvermann stand auf, und der Vogel flog keifend zum Dach zurück. Er verspürte einen seltsamen, zitternden Eifer. »Wovon hat er gesprochen?«
    Brown sah ihn mit einer hochgezogenen Braue an. »Nicht viel. Ob es jemals regnete, wann ich hierher gekommen sei und ob ich meine Frau begraben hätte. Meistens habe ich gesprochen, was nicht üblich ist.« Er machte eine Pause, und das einzige Geräusch war der heulende Wind. »Er ist ein Zauberer, nicht?«
    »Ja.«
    Brown nickte bedächtig. »Ich wußte es. Und du?«
    »Ich bin nur ein Mensch.«
    »Du wirst ihn nie erwischen.«
    »Ich werde ihn erwischen.«
    Sie sahen einander an, und plötzlich herrschte tiefes Einvernehmen zwischen ihnen, dem Grenzbewohner auf seinem staubtrockenen Boden, dem Revolvermann auf der verkrusteten Fläche, die in die Wüste überging. Er griff nach seinem
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