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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel
Autoren: Upton Sinclair
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hinter sich ihrer Mutter, die aufpaßte, daß ihnen niemand ihre Funde raubte. In Geld ließ sich der Wert dieser Hühner für die arme Mrs. Jukniene nicht ausdrücken. Für sie bedeuteten sie mehr, denn sie verliehen ihr das Gefühl, durch sie etwas umsonst zu bekommen – durch sie der Welt, von der sie sonst immer nur übervorteilt wurde, ein Schnippchen zu schlagen. Deshalb ließ sie die Tiere tagsüber nie aus den Augen, und sie hatte gelernt, bei Nacht wie eine Eule zu sehen, um sie auch dann bewachen zu können. Vor längerer Zeit war ihr eines gestohlen worden, und es verging kein Monat, da nicht wer versuchte, ein weiteres zu stehlen. Das gerade jetzt zu verhindern war mit zig blinden Alarmen und viel Aufregung verbunden gewesen, und so läßt sich ermessen, welches Opfer Mrs. Jukniene brachte, nur weil Teta Elzbieta ihr einmal für ein paar Tage etwas Geld geliehen und sie davor bewahrt hatte, aus ihren vier Wänden hinausgesetzt zu werden.
    Während der Klagen über diese Dinge kamen immer mehr Freunde und Bekannte hinzu. In der Hoffnung, das Gespräch mit anzuhören, traten sogar einige näher, die selber zu den Schuldigen gehörten – unverfrorener ging’s wahrlich nicht mehr. Schließlich holte jemand auch Jurgis herbei, und man erzählte ihm die Sache. Jurgis hörte schweigend zu, runzelte nur die großen schwarzen Brauen. Ab und zu funkelte es darunter auf, und er warf grimmige Blicke durch den Saal. Vielleicht wäre er gern mit seinen geballten Riesenfäusten auf ein paar dieser Schmarotzer losgegangen, doch dann machte er sich wohl klar, wie wenig ihm das nützen würde. Jetzt noch jemanden hinauszuwerfen ließe keine Rechnung geringer werden, sondern gäbe bloß einen Skandal, und Jurgis wünschte nichts weiter, als mit Ona zu verschwinden und die Welt Welt sein zu lassen. Also entspannten sich seine Hände wieder, und er erklärte ruhig: »Es ist nun mal geschehen, und da hilft kein Weinen, Teta Elzbieta.« Dann fiel sein Blick auf Ona, die dicht neben ihm stand, und er sah ihre angstgroßen Augen. »Kleines«, sagte er leise, »mach dir keine Sorgen – das hier soll uns nicht verdrießen. Irgendwie bringen wir das Geld schon zusammen. Ich werde eben mehr arbeiten!« Das sagte Jurgis immer. Ona hatte sich schon daran gewöhnt als an den Ausweg aus allen Schwierigkeiten – »Ich werde eben mehr arbeiten!« Das waren bereits in Litauen seine Worte gewesen, nachdem ein Gendarm ihm seinen Paß abgenommen und ein zweiter ihn verhaftet hatte, weil er keinen bei sich trug, und er von diesem, der mit dem ersten unter einer Decke steckte, um ein Drittel seiner gesamten Barschaft erleichtert worden war. Er hatte das auch in New York gesagt, als der redegewandte Hotelschlepper, dem sie in die Hände gefallen waren, ihnen so horrende Zimmerpreise abverlangt hatte und sie dann trotz Bezahlung beinahe nicht hätte gehen lassen. Jetzt sagte Jurgis es zum dritten Mal, und Ona atmete erleichtert auf. Es war so wunderbar, einen Mann zu haben, richtig wie eine erwachsene Frau – noch dazu einen, der mit allen Problemen fertig wurde und der so groß und stark war! Der letzte Schluchzer des kleinen Sebastijonas ist gestillt und die Kapelle wieder an ihre Pflicht erinnert worden. Der Acziavimas setzt von neuem ein, aber da nur noch wenige zum Tanzen mit der Braut übrig sind, ist man mit der Kollekte sehr bald durch, und es wird wieder zu normalem Paartanzen übergegangen. Die Uhr zeigt jedoch schon nach Mitternacht, und es ist nicht mehr so wie zuvor: Die Tanzenden sind satt und träge – die meisten haben eine Menge getrunken, und ihre Beschwingtheit ist längst verflogen. Sie bewegen sich in monotonem Rhythmus, Tanz um Tanz, Stunde um Stunde, mit stierer werdenden Augen und wie nur noch halb bei Bewußtsein. So fest die Männer die Frauen auch an sich gedrückt haben, nehmen die Partner eine halbe Stunde lang einer nicht des anderen Gesicht wahr. Einige Paare mögen nicht mehr tanzen und haben sich in die Ecken zurückgezogen, sitzen dort Arm in Arm. Jene, die noch mehr getrunken haben, torkeln durch den Saal und stoßen überall an; andere stehen zu zweien oder dreien zusammen und singen, jede Gruppe ihr eigenes Lied. Mit fortschreitender Zeit zeigen sich die verschiedensten Rauschstadien, besonders bei den jungen Männern. Manche wanken einander unterhakend oder umarmend einher und lallen sentimentales Zeug – andere fangen beim geringsten Anlaß Streit an und werden handgemein, so daß es nötig wird,
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