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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
Autoren: Bastian Sick
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aufgelegt ist, wird gern als »Spaßvogel« bezeichnet. Schillernde Persönlichkeiten mit exotischen Manieren und ausgefallener Kleidung werden »Paradiesvögel« genannt.

    Und wer im Leben vom Pech verfolgt wird, ist ein »Pechvogel«, wenn nicht gar ein »Unglücksrabe«. So wie Hans Huckebein, der Rabe aus dem Gedicht von Wilhelm Busch, der sich in einer Garnrolle verhedderte und dabei selbst strangulierte. Ein Mensch, der ausgesprochen viel Glück hat, ist hingegen kein »Glücksvogel«, sondern ein »Glückspilz«. Vögel sind offenbar zu schräg, um Glück zu verkörpern. Sie scheinen besser geeignet für Hohn und Spott.

    Wer dem Alkohol übermäßig zugetan ist, wird von anderen spöttisch »Schluckspecht« genannt. Dabei sind Spechte ja eher fürs Hämmern als fürs Schlucken bekannt. Der Schluckspecht ist nicht der einzige alkoholabhängige Vogel in unserer Sprache. Es gibt auch noch die »Schnapsdrossel«. Nun ist diese Drossel in Wahrheit allerdings kein Vogel, sondern nur ein anderes, altes Wort für Kehle. Schnapsdrossel bedeutet also nichts anderes als eine Kehle, durch die ordentlich viel Schnaps rinnt. Das Wort »Drossel« in der Bedeutung »Kehle« gibt es heute noch in dem gruseligen Wort »erdrosseln«. Womit wir wieder bei Hans Huckebein wären, dem Raben, der sich aus Versehen selbst erdrosselt hat. Wenn das kein Paradoxon ist: ein erdrosselter Rabe!

    Wann immer sich Schulden zu einem Berg türmen, sieht man ihn sprichwörtlich kreisen: den »Pleitegeier«. Der Pleitegeier stammt allerdings nur scheinbar aus der Vogelwelt, in Wahrheit kommt er aus dem Jiddischen; dort war der plejte gejer jemand, der pleiteging, also Bankrott machte. Wer kein Jiddisch verstand, hörte aus dem Wort gejer nicht den Geher heraus, sondern den Geier. Und so erklärt sich, dass dem gewöhnlichen Pleitier plötzlich Schnabel, Krallen und Flügel wuchsen.

    Unsere Sprache kennt noch zahlreiche weitere Menschen in Vogelkostümen: Beim Ballett und im Karneval gibt es die »Hupfdohle« – das ist ein abwertender Ausdruck für eine Tänzerin oder einen Tänzer. Die Dohle gibt es wirklich, es handelt sich um eine Singvogelart aus der Rabenfamilie.
    Apropos Rabenfamilie: Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, nennt man »Rabeneltern«. Das geht auf eine falsche Deutung der Natur zurück: Junge Raben verlassen das Nest, bevor sie fliegen können, und hüpfen daher zunächst noch etwas unbeholfen auf dem Boden umher. Die Menschen dachten früher, die Rabenjungen seien von ihren Eltern aus dem Nest gestoßen worden. In Wahrheit kümmern sich Rabeneltern nicht weniger liebevoll um ihre Brut als andere Vogelarten. Am Boden sind die jungen Raben sicherer als im Nest, wo sie zur leichten Beute für räuberische Falken werden können.
    Das Gegenteil der Rabenmutter ist die »Glucke«. Die Gluckenmutti zeichnet sich durch übertriebene Fürsorglichkeit aus. Und wo die Glucke gluckt, ist der »eitle Gockel« nicht weit. Als solchen bezeichnet man einen Angeber und Blender, jemanden, bei dem stets die Gefahr besteht, dass er sich »mit fremden Federn schmückt«.

    Wachteln sind Hühnervögel, die früher gern gejagt wurden. Ihr zartes Fleisch und ihre Eier galten als Delikatesse. Heute ist die Jagd auf Wachteln verboten. Darüber freut sich besonders die »Spinatwachtel«. Die war allerdings weder bedroht noch wurde sie gejagt, höchstens mal zum Teufel, denn eine Spinatwachtel ist eine alte, hagere Frau, die etwas schrullig ist. Ihre Cousine ist die »Schnepfe«. In freier Natur ist die Schnepfe ein zierlicher Vogel, mit einem Schnabel so lang und dünn wie ein asiatisches Essstäbchen. Bei uns Menschen ist die Schnepfe eine zickige Frau, die allen auf die Nerven geht.

    Daneben kennt man noch die »blöde Gans«, die »dumme Pute«, das »blinde Huhn« und die »lahme Ente« – allesamt arme Spottvögel.
    Auch der menschliche Körper hat vieles vom Vogel. Manche Menschen haben Storchenbeine, andere eine Habichtsnase und wieder andere ein Spatzenhirn. Wenn uns gruselt oder friert, bekommen wir eine Gänsehaut. Und irgendwann bekommt man um die Augen Krähenfüße und an den Füßen Hühneraugen. Ein sprachliches Wunder: Den Augen wachsen Füße und den Füßen Augen – den Vögeln sei Dank!
    Es gibt vieles, was uns mit Vögeln verbindet. Manchmal sehen wir aus wie frisch aus dem Ei gepellt, wir können Nesthäkchen sein, flügge werden und verliebt sein wie die Turteltauben. Wir mögen keine Nestbeschmutzer und ziehen die
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