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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
Autoren: Bastian Sick
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von Wesel?« in die Schlucht ruft, dem wird es jedenfalls nicht »Weselaner!« entgegenschallen.
    Auf einem Bauernhof im Kasseler Land steht ein kleines Ferkel vor einem gewichtigen Problem. »Du, Mami«, fragt es seine Mutter, »was bin ich eigentlich: ein Kasseler, ein Kasselaner oder ein Kasseläner, wie der Bauer sagt?« – »Ich habe keine Ahnung«, grunzt die Mutter, »frag das doch mal die Katze, die weiß doch immer alles.« Also stellt das Ferkel seine Frage der Katze, und die erklärt: »Kasseler sind alle Einwohner Kassels, Kasselaner sind die, die in Kassel geboren sind, und Kasseläner sind jene, deren Eltern bereits gebürtige Kasseler, also Kasselaner sind.« Das Ferkel seufzt: »Also muss ich herausfinden, ob Mamis Eltern auch schon hier zur Welt gekommen sind?« Die Katze fährt sich mit der Zunge übers Maul und antwortet sibyllinisch: »Ob du ein Kasselaner bist oder ein Kasseläner, das spielt keine Rolle. Sicher ist nur dies: Eines Tages wirst du Kassler sein!«

Durch und durch alles hindurch
    Die »Titanic« wurde durch einen Eisberg versenkt, Bücher werden durch Autoren geschrieben und durch Übersetzer übersetzt; Autos werden durch herabfallende Ziegel getroffen, Politiker durch das Volk gewählt. Ist die Durch-Wucherung der Sprache durch nichts mehr aufzuhalten?
    Im Blumengarten der deutschen Sprache wuchert ein Unkraut, schlimmer als Quecke, hartnäckiger als Giersch. Es handelt sich um ein Gewächs aus der Familie der Präpositionen, klein und unscheinbar, doch es ist praktisch nicht zu besiegen. Der fleißige Stilgärtner hat alle Hände voll damit zu tun, es herauszureißen. Doch so viel er auch rupft und zupft – die Plage dringt immer wieder durch. Sie wuchert und windet sich durch alles hindurch.
    Gemeint ist die Präposition »durch«, eine ausgesprochen vielseitige Vertreterin ihrer Gattung. Sie lässt sich zunächst einmal räumlich einsetzen: durch den Dschungel, durch die Hintertür, durchs wilde Kurdistan. Sodann auch zeitlich: durch den Winter, durchs ganze Jahr. Damit aber gibt sie sich längst nicht zufrieden; sie will noch viel mehr!
    Denn sie versteht sich auch als eine mediale Präposition. Genau wie das Wort »mittels« zeigt sie an, dass etwas mit Hilfe von etwas oder jemandem geschieht: Statt »per Kurier« kann man ein Paket auch »durch Boten« zustellen lassen, und ein Kranker kann ebenso gut »mittels neuer Medikamente« als auch »durch neue Medikamente« geheilt werden. So weit, so richtig.
    Weil ihr aber auch das nicht genügt, gräbt die Präposition »durch« seit geraumer Zeit ihrer schlimmsten Rivalin das Wasser ab: dem kleineren Wörtchen »von«. Wo immer sich eine Gelegenheit bietet, versucht sie, »von« zu verdrängen, oftmals mit Erfolg, aber selten mit stilistisch überzeugendem Ergebnis:
    »Mehrere Autos wurden durch herabfallende Dachziegel getroffen«, heißt es in einer Meldung, die das Wüten eines Orkans über Norddeutschland beschreibt. Der Verfasser der Meldung scheint seinerseits von der Präposition »durch« getroffen worden sein, und zwar direkt am Kopf, sonst hätte er den Satz besser zu formulieren gewusst.
    Natürlich wurden die Autos nicht »durch« Ziegel getroffen, sondern von denselben. Ersetzt man »durch« nämlich durch »mittels« oder »mit Hilfe von«, dann sieht man, wie unsinnig die Verwendung von »durch« hier ist: »Mehrere Autos wurden mit Hilfe herabfallender Ziegel getroffen.«
    Derselbe logische Fehler offenbart sich auch in dieser Schreckensnachricht aus den Rocky Mountains: »Der 42-jährige Mann wurde durch einen ausgewachsenen Grizzly getötet.« Das liest sich so, als hätte jemand einen Bären dazu benutzt, um den Mann aus dem Weg zu räumen. Denkbar zwar, aber wohl kaum so gemeint. Die Gegenprobe mit »mittels« oder »mit Hilfe von« zeigt auch in diesem Fall, dass »durch« fehl am Platz ist.
    »Wir drucken den Text in der deutschen Übersetzung durch Harry Rowohlt«, kündigt eine Zeitung ihren Lesern an. Bei einem solchen Satz hätte sich dem wortgewandten Übersetzer selbst wohl die Feder gesträubt. Schließlich ist Harry Rowohlt weitaus mehr als nur ein Medium, durch das die Übersetzung mal eben so hindurchgeflossen ist.
    Im Zusammenhang mit »schreiben« und »übersetzen« ist vom Gebrauch der Präposition »durch« durchweg abzuraten. Wann immer Personen, Personengruppen oder Institutionen im Spiel sind, taucht »durch« die Agierenden ins trübe Licht der Mittelbarkeit.
    Bei der Frachtsendung,
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