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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios
Autoren: Wolf Serno
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schlimm, nicht schlimm. Wachsen zu von selbst.«
    Arlette bog vorsichtig die Wunde auseinander, um Art und Ausmaß der Verletzung besser einschätzen zu können. Der Schwarze zog vor Schmerz die Luft durch die Zähne. »Es sieht aus, als wäre die Wunde durch eine Hacke hervorgerufen worden. Dein Vordermann könnte sie nach hinten durchgeschwungen und dich getroffen haben. War es so, Mbamo?«
    »Ja, Ladymissu. Ich zweiter Mann in Reihe. Ich hinter Bongo. Aber Bongo keine Schuld. War Unfall.« Mbamo wurde nervös. »Bongo keine Schuld.« Er wusste, dass die Arbeitskraft eines Sklaven von alles überragender Wichtigkeit war. Wer sie schwächte, ob bei sich selbst oder bei anderen, lief Gefahr, sich ein Dutzend Peitschenhiebe einzuhandeln.
    »Ich glaube dir ja. Aber warum, um Jesu Christi willen, bist du nicht früher zu mir gekommen?« Ohne Mbamos Antwort abzuwarten, nahm sie aus der Satteltasche ihres Braunen etwas Verbandszeug. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, derlei mit sich zu führen, denn es kam bei der Feldarbeit immer wieder zu Verletzungen.
    Während sie die Wunde schnell und geschickt säuberte, wanderten ihre Gedanken abermals zurück zu dem Mann, der sich Vitus nannte und ein Collincourt sein wollte. Er hatte sich, das musste sie einräumen, damals nach dem Seegefecht gegen die Spanier prachtvoll verhalten. Stunde um Stunde hatte er geschuftet, um die zahllosen Verwundeten zu versorgen, und nicht wenige von ihnen verdankten ihm ihr Leben. Er war, so seine Behauptung, ein Cirurgicus. Und sie, Arlette Collincourt, hatte ihm gern bei seiner Arbeit geholfen …
    Sie verscheuchte die müßigen Gedanken, nahm eine zinkhaltige Salbe zur Hand und bestrich damit die Wunde. Dann legte sie eine Kompresse an, die sie mit einigen Leinenstreifen fixierte. »Fertig.«
    Mbamo reagierte nicht.
    »Hallo, Mbamo, träumst du?«
    »Mbamo traurig. Alles falsch sein. Sowieso.«
    »Wie? Was soll falsch sein?« Sie blickte ihn forschend an. Die Stimmungen der Schwarzen, die sich häufig von Augenblick zu Augenblick wandelten, würden ihr ein ewiges Rätsel bleiben.
    »Egal, Ladymissu. Ladymissu freundlich. Egal.«
    »Jetzt aber heraus mit der Sprache!« Sie schüttelte ihn sanft, damit er zu sich kam.
    Mbamo zögerte. Schließlich sprach er: »Mbamo denken, Tabak nix gut schmecken. Letzte Jahr genauso. Herbst kommen Ernte. Viel Arbeit. Tabak darren. Fässer packen. Viel Arbeit. Gut Arbeit. Nix Verschnitt, nix Steine, nix Feuchtigkeit. Aber Tabak nix schmecken. Massa nehmen Kot, düngen Feld. Deshalb so.«
    Arlette staunte. »Willst du damit sagen, dass Felder, die mit, äh … Kot gedüngt werden, schlecht schmeckenden Tabak hervorbringen?«
    »Kot schlecht! Immer schlecht. Nix gut düngen. Ich wissen!« Mbamo nickte heftig.
    »Nun, ich erinnere mich, dass im Frühjahr damit gedüngt worden ist.« Ihr Blick wanderte über die Felder, die sich in alle Himmelsrichtungen ausdehnten. Der Aufseher Murphy, fiel ihr ein, hatte einmal gesagt, die Größe der Felder allein mache noch keine gute Tabakplantage aus. Ebenso wichtig sei die Möglichkeit, regelmäßig neue Felder anlegen zu können. Allerdings seien dazu riesige Flächen nötig. Genau da schien der Hase im Pfeffer zu liegen: Die Anbaufläche auf Roanoke war nur allzu begrenzt. Statt neuen, nicht ausgelaugten Boden nutzen zu können, musste Thomas den alten düngen – mit Kot.
    Sollten seine Bemühungen damit endgültig gescheitert sein? Musste ihr Großvater die hohen Summen, mit denen er wieder und wieder die Plantage unterstützt hatte, in den Wind schreiben?
    Sie seufzte innerlich. Wenn hier alles zu Ende ging, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als nach England zurückzukehren, dorthin, wo der alte Lord seinen Familiensitz hatte – nach Greenvale Castle. Er würde wissen wollen, warum sie ihm die ganzen Monate kein Wort geschrieben hatte. Und es würde nicht leicht werden, ihm zu erklären, dass sie sich zu sehr geschämt hatte. Weil sie damals einfach fortgegangen war, ohne ihm die Gründe zu nennen. Und weil alles, was überhaupt schief laufen konnte, auch schief gelaufen war. Sie hatte einen großen Fehler gemacht, und sie durfte nicht auf sein Verständnis hoffen.
    Sie machte sich daran, das Verbandszeug und die Salbe in der Satteltasche zu verstauen. »Ich sehe mir die Wunde morgen Vormittag noch einmal an. Wenn sie dann nicht besser geworden ist, musst du ein, zwei Tage mit der Arbeit aussetzen.«
    »Ladymissu, oh Ladymissu!« Die Stimme von Mbamo
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