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Der Cartoonist

Der Cartoonist

Titel: Der Cartoonist
Autoren: Sean Costello
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wecken sollte.
    Gleich darauf
rollte sie hoch. Ihre schlanken Beine wirkten so, als hätten sie gar keine
Knochen, und bogen sich nach rechts, während ihre Arme sich wie Windrädchen in
kleinen, lächerlichen Kreisen drehten. Jetzt war ihr Gesicht direkt vor Scott,
nur ein paar Zentimeter entfernt. Ihre Augen waren glasig, aber immer noch auf
ihn gerichtet, obwohl sie fast sicher schon tot war.
    Sie sieht
mich an. Oh, lieber Gott, sie sieht mich direkt an ...
    Dann knallte
ihr Gesicht mit einem scharfen Geräusch so heftig gegen die Windschutzscheibe,
dass sie zerbarst. Die glitzernden Scherben fielen nach innen und stachen wie
wütende Hornissen. Der nächste Augenblick kam ihm so vor, als werde das Mädchen
ewig dort hängen bleiben, während die leblosen Augen ihn anklagend anstarrten.
Dann war es fort, zur Seite gerutscht, in die fahle schwindende Nacht.
    Der Wagen schlingerte zweimal hin und her, das Heck rutschte zurück auf den
Asphalt und kam schleudernd über dem verblassten Mittelstreifen zum Stehen. In
der Windschutzscheibe war ein faustgroßes, gezacktes Loch. Daneben sickerte
eine kleine, fast unbedeutend wirkende Blutspur wie ein Rinnsal zur linken
Seite. Durch das Loch drang kühle Luft und strich über Scotts angstbleiches
Gesicht. Es roch nach Blut - wie bei einer Schlachtung. Er schloss die Augen
und versuchte, die Zeit zurückzudrehen. Alles, was er brauchte, waren ein paar
Sekunden.
    Er wollte zu
dem Augenblick zurückkehren, in dem das Kätzchen aufgetaucht war. Diesmal würde
er das dumme Ding einfach überrollen und weiterfahren, ohne einen einzigen
Blick zurückzuwerfen. Satzfetzen schossen ihm durch den Kopf, verzweifelt
gestammelte Gebete, die sich an irgendeinen Gott richteten, ob christlich,
heidnisch oder was auch immer; Hauptsache, dieser Gott erhörte seine Bitten.
    Oh lieber
Gott lass sie leben bitte lass sie leben tu alles was du willst aber lass sie
leben ich flehe dich an ...
    Scott zitterte
wie in Krämpfen, jede Faser seines Körpers brannte vor purem Entsetzen. Als er
mit den Fingern sein Kinn betastete, stieß er auf Blut, sein eigenes Blut. Es
rann aus einer erbsengroßen Wunde. Offenbar hatte ihn eine Salve
herumfliegender Glasscherben erwischt. Ein Traum bitte lass es einen Traum
sein ... Langsam öffnete er die Augen. Er sah seine Freunde nicht an,
sondern blickte auf die Windschutzscheibe - in der verzweifelten Hoffnung, sie
sei wieder heil, das faustgroße Loch samt dem Spinnennetz aus Rissen
verschwunden, die Blutspur gelöscht. Aber das Loch war dort... Genau wie das
Blut. Die Wirklichkeit hatte ihn wieder. Er hörte, wie eine Tür laut
zugeschlagen wurde. Leise, bestürzte Stimmen, die durcheinander sprachen.
Gleich darauf glitt Scott aus dem Wagen und folgte den Silhouetten seiner
Freunde, die jetzt gebückt auf die kleine,
    zusammengesunkene
Gestalt auf der Straße zuliefen . Während die anderen
zurückwichen, fiel er neben dem Mädchen auf die Knie. Er war kein Arzt, noch
nicht. Aber er wusste, dass die Kleine tot war. Genauso, wie er wusste, dass
ein Teil von ihm zusammen mit ihr gestorben war. Als er seine Hand an ihren
Hals legte, schlackerte ihm ihr Kopf entgegen. Ihre Augen waren immer noch
geöffnet, starrten ihn immer noch mit leerem Blick an.
    »Fass sie
nicht an«, sagte Brian in die morgendliche Stille hinein. »Du könntest ihre
Wirbelsäule verletzen .«
    »Sie ist tot,
du Arschloch«, bemerkte Jake kalt.
    Beim Klang von
Jakes Stimme sah Scott auf. Sein Herz tat einen Sprung.
    Jakes Augen -
normalerweise von einem sanften, blassen Grün - wirkten jetzt so, als erhellten
sie mit ihrem bernsteinfarbenen Glanz die Straße, während er sie in beide
Richtungen schweifen ließ und den Blick anschließend dem angrenzenden Wald
zuwandte. Er stand mit vorgezogenen Schultern da, den Kopf grübelnd zur Seite
geneigt. Einen Augenblick lang tauchte vor Scott das Bild einer angespannten
Wildkatze auf, die Gefahr riecht und sich bereitmacht, ihrem Opfer den Bauch
aufzuschlitzen.
    In diesem
Moment wurde Scott jeder einzelne Gedanke seines Freundes bewusst. Weil er die
gleichen Gedanken hatte.
    Brian Horners
riesiger Körper zeichnete sich gegen den indigoblauen Himmel ab. Er schwankte
hin und her, starrte wie benommen auf das Kind und begann gleich darauf zu
wimmern. Erst jetzt wurde ihm nach und nach klar, was geschehen war.
    Als Scott sich
wieder der Kleinen zuwandte, merkte er, dass sie ein Albino war. Das erklärte
die geisterhafte Blässe, das schneeweiße Haar
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