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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke
Autoren: Gary Jennings
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herunterneigen, wenn er mir eine der traditionellen Predigten halten wollte, wie Väter sie nach altem Brauch ihren Söhnen halten. Erwischte er mich etwa dabei, wie ich frech den schlurfenden Gang des alten Buckligen nachahmte, der bei uns im Dorf die Abfälle einsammelte, redete mein Vater mir streng ins Gewissen:
    »Paß auf, daß du dich nicht lustig machst über die Alten, die Krüppel, oder diejenigen, die irgend etwas Törichtes getan oder sich eine Gesetzesübertretung haben zuschulden kommen lassen. Beleidige und verachte sie nicht, sondern erniedrige dich vor den Göttern und zittere, auf daß sie dich nicht mit dem gleichen Elend strafen.«
    Oder wenn ich wenig Interesse zeigte für das, was er mir von seinem Handwerk beibringen wollte – von jedem Macehuáli-Jungen, der nicht den Ehrgeiz besaß, das Handwerk des Kriegers zu erlernen, wurde erwartet, daß er in die Fußstapfen seines Vaters trat –, neigte er sich wohl zu mir herab und erklärte mit großem Ernst:
    »Drücke dich nicht vor der Arbeit, welche die Götter dir zugewiesen haben, mein Sohn, sondern sei es zufrieden. Ich bete darum, daß sie dir Verdienste und Glück schenken mögen, doch was immer sie dir auch zuteilen, nimm es dankbar entgegen. Ist es nur eine bescheidene Gabe, verachte sie nicht, denn die Götter können dir auch dieses Wenige noch wieder nehmen. Gewähren sie dir aber Großes, schenken sie dir vielleicht eine bedeutende Gabe, sei nicht stolz und werde nicht übermütig, sondern denke daran, daß die Götter dieses Tonáli einem anderen vorenthalten haben, um es dir geben zu können.«
    Bisweilen hielt mein Vater mir ohne jeden ersichtlichen Grund und mit leicht gerötetem Gesicht eine kleine Predigt, aus der ich damals überhaupt nicht schlau wurde. Sie ging etwa folgendermaßen:
    »Führe ein sauberes Leben und sei nicht ausschweifend, sonst erzürnst du die Götter und sie überhäufen dich mit Schande. Sei enthaltsam, mein Sohn, bis du das Mädchen kennenlernst, das die Götter dir zur Frau bestimmt haben, denn die Götter verstehen sich darauf, alle Dinge richtig zu ordnen. Vor allem aber vergnüge dich nie mit der Frau eines anderen Mannes.«
    Das wollte mir damals als überflüssiges Gebot erscheinen, denn ich führte ja ein sauberes Leben. Genauso wie jeder andere Mexícatl – mit Ausnahme der Priester – badete ich zweimal täglich in heißer Seifenlauge, schwamm häufig im See und schwitzte in bestimmten Abständen alle mir noch verbliebenen schlechten Säfte in unserem ofenheißen Schwitzbad aus. Ich reinigte mir morgens wie abends die Zähne mit einer Mischung aus Bienenhonig und weißer Asche. Und was das Sichvergnügen betraf, so kannte ich keinen Mann auf der Insel, der eine Frau meines Alters hatte, und Mädchen bezog keiner von uns Jungen in seine Spiele mit ein.
    Meine Mutter war ganz und gar untypisch für eine Frau unserer Schicht auf Xaltócan: Sie war die wahrscheinlich wenigst bescheidene, wenigst fügsame und am wenigsten zurückhaltende Frau, die man sich vorstellen konnte. Sie war ein schrillstimmiges, zänkisches Weib, ein Hausdrachen für unsere kleine Familie und eine Plage für alle unsere Nachbarn. Dabei brüstete sie sich, ein Muster aller weiblichen Tugenden zu sein, was zur Folge hatte, daß sie in einem Zustand ständiger und zorniger Unzufriedenheit mit allem und jedem um sie herum lebte. Falls ich überhaupt etwas Nützliches von meiner Tene mitbekommen habe, dann, daß ich manchmal unzufrieden mit mir selber war.
    Daß ich von meinem Vater körperlich gezüchtigt worden wäre, ist, soweit ich mich erinnere, nur ein einziges Mal vorgekommen. Wir Jungen durften auf Vögel schießen, wie etwa auf Krähen und Stare, die sich an den Früchten unseres Gartens gütlich taten, ja, wurden sogar dazu ermuntert, es zu tun; und wir taten das mit Blasrohren, aus denen spitz zulaufende kleine Tongeschosse herauskamen. Eines Tages zielte ich aus irgendeiner boshaften Regung heraus nach der zahmen Wachtel, die wir in unserem Haus hielten. (Die meisten Familien hielten einen solchen Hausvogel, damit er Skorpione fernhielt und Raupen und Würmer vertilgte.) Um mein Vergehen zu vertuschen, versuchte ich, meinem Freund Tlatli die Schuld am Tode des Vogels in die Schuhe zu schieben.
    Mein Vater brauchte nicht lange, um hinter die Wahrheit zu kommen. Hätte die Tatsache, daß ich die harmlose Wachtel umgebracht hatte, mir nur eine bescheidene Strafe eingetragen, so war das bei der streng verbotenen Sünde
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