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Der Afghane

Der Afghane

Titel: Der Afghane
Autoren: Frederick Forsyth
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gehörte, kannten einander. Schon bevor sie eingewilligt hatten, in der namenlosen Expertenkommission mitzuarbeiten, die sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit einem einzigen Buch und einer einzigen Religion beschäftigte, kannten sie einander sowohl durch ihre Veröffentlichungen als auch persönlich von Seminaren, Vorträgen und Kongressen her. Die Welt des intensiven Koranstudiums ist ziemlich klein.
    Terry Martin begrüßte Dr. Ludwig Schramme von der Columbia University in New York, Dr. Ben Jolley von der Rand Corporation und Dr. »Harry« Harrison von Brookings, der ganz sicher einen anderen Vornamen hatte, aber überall nur als Harry bekannt war. Das älteste und daher leitende Mitglied der Kommission war Ben Jolley, ein großer, bärtiger Bär von einem Mann, der sofort – und ohne auf die vorgeschobenen Lippen des Deputy Directors zu achten – eine furchterregende Bruyère-Pfeife hervorholte und anzündete. Als sie qualmte wie ein herbstliches Laubfeuer, paffte er zufrieden. Die Klimatechnik der Firma Westinghouse über ihren Köpfen tat ihr Bestes, und sie tat es mit einigem Erfolg. Aber demnächst würde sie eine Generalüberholung benötigen.
    Der Deputy Director kam ohne Umschweife zum Kern der Sache. Er verteilte Kopien zweier Dokumente, eine Akte für jeden Teilnehmer. Es waren die arabischen Originale der Dateien, die man auf dem Laptop des al-Qaida-Financiers gefunden hatte, sowie die Übersetzungen der internen Arabisch-Abteilung. Die vier Männer nahmen sich unverzüglich die arabischen Fassungen vor und lasen sie schweigend. Dr. Jolley paffte, der Mann vom Heimatschutz verzog gequält das Gesicht. Alle vier waren fast gleichzeitig fertig.
    Dann lasen sie die englischen Übersetzungen, um festzustellen, was übersehen worden war – und warum. Jolley sah die beiden Nachrichtendienstoffiziere an.
    »Und?«
    »Und was, Professor?«
    »Was ist das Problem?«, fragte der Arabist. »Warum sind wir hier?«
    Der Deputy Director beugte sich vor und tippte auf einen Absatz in der englischen Übersetzung. »Da ist das Problem. Das hier. Was bedeutet es? Wovon ist da die Rede?«
    Alle vier hatten den Koranverweis im arabischen Text entdeckt. Eine Übersetzung brauchten sie nicht. Jeder hatte diesen Satz schon oft gelesen und seine möglichen Bedeutungen studiert. Aber das war im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Texten geschehen. Hier handelte es sich um moderne Briefe. In dem einen Brief erschien der Verweis dreimal, in dem anderen einmal.
    »Al-Isra? Das muss ein Code sein. Es bezieht sich auf eine Episode aus dem Leben des Propheten Mohammed.«
    »Verzeihen Sie unsere Unkenntnis«, sagte der Mann vom Heimatschutz. »Was ist al-Isra?«
    »Erklären Sie es, Terry«, bat Dr. Jolley.
    »Tja, Gentlemen«, begann Terry Martin, »damit ist eine Offenbarung im Leben des Propheten gemeint. Bis zum heutigen Tag streiten sich die Gelehrten, ob er da ein echtes göttliches Wunder erlebte oder ob es sich schlicht um ein außerkörperliches Erlebnis handelte.
    Kurz gesagt: Ein Jahr bevor er seinen Geburtsort Mekka verließ und nach Medina auswanderte, hatte er eines Nachts einen Traum. Oder eine Halluzination. Oder es war ein göttliches Wunder. Der Kürze halber will ich sagen, es war ein Traum, und dabei bleiben.
    In diesem Traum wurde er aus der Mitte des heutigen Saudi-Arabien nach Jerusalem entrückt, das damals nur für Christen und Juden eine heilige Stadt war.«
    »Zu welcher Zeit? Nach unserem Kalender.«
    »Um das Jahr sechshundertzwanzig.«
    »Und was geschah dann?«
    »Der Erzengel Gabriel nahm Mohammed auf einem geflügelt Pferd mit hinauf durch die sieben Himmel und brachte ihn schließlich vor das Angesicht des allmächtigen Gottes, der ihn in den Gebetsritualen unterwies, an die ein wahrer Gläubiger sich zu halten habe. Mohammed prägte sich alles ein und diktierte es später einem Schreiber, und so wurde es zu einem integralen Bestandteil der Sechstausendsechshundertsechsundsechzig. Diese Verse wurden zur Grundlage des Islam, und sie sind es bis heute geblieben.«
    Die anderen drei Professoren nickten zustimmend.
    »Und das glauben die Muslime?«, fragte der Deputy Director.
    »Wir wollen nicht herablassend werden«, sagte Harry Harrison in scharfem Ton. »Im Neuen Testament wird uns berichtet, dass Jesus vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wildnis fastete und danach dem Teufel entgegentrat und ihm widersagte. Wer so lange Zeit ohne Nahrung verbringt, wird ganz sicher Halluzinationen
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