Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der 7. Tag (German Edition)

Der 7. Tag (German Edition)

Titel: Der 7. Tag (German Edition)
Autoren: Nika Lubitsch
Vom Netzwerk:
Lichterfelde:
„Der Leichnam wies 18 Stichwunden auf, 17 vorne und eine Stichwunde im hinteren
Lungenflügel. Die Halsschlagader war durchtrennt. Michael Thalheim sollte
enthauptet werden. Das Opfer hatte keine Möglichkeit, sich zu wehren. Der erste
Stich hat ihn bereits getötet.“ Der Leichenbeschauer bestätigte, dass als
Tatwaffe ein Küchenmesser in Frage käme. Die Angeklagte starrte bei der
Schilderung der grausigen Umstände unbewegt aus dem Fenster. Sie sagte nur
einen Satz: „Erwartet nicht, dass ich lächle“. Der Prozess wird am Donnerstag
fortgesetzt.

Der zweite Prozesstag
     
    Heute sage ich kein Wort mehr, sonst werde ich wieder im
falschen Zusammenhang zitiert. Du kannst dich auf mich verlassen Ulli.
    Und wieder ist der Gerichtssaal vollgestopft mit
Neugierigen. Die Vorsitzende Richterin sieht ein bisschen zerknittert aus, hat
wohl nicht allzu gut geschlafen. Wechseljahre, vermutlich. Mein „Fall“ wird es
wohl kaum sein, der ihr den Schlaf raubt. Dazu schaut sie viel zu unbeteiligt
über ihre Goldrandbrille hinweg. Auch kein leichter Job, sich immer das Elend
anderer Leute anhören zu müssen. Mitleid kann man sich da nicht leisten. Aber
wer will schon Mitleid?
    Heute wird die blutige Schlacht weitergehen. Der strebsame
Staatsanwalt hat als Zeugen die halbe Polizei von Lichtenrade und Mahlow
aufgerufen. Sie werden die Chance nutzen und sich vor den anwesenden
Medienvertretern in das rechte Licht der Öffentlichkeit setzen. War ja auch
eine tolle Leistung, wie sie drei Stunden nach Auffinden von Michaels Leiche in
einer grenzüberschreitenden, konzertierten Aktion in mein Hotelzimmer
eindrangen.
    Ulli lächelt mich an. Ja, ich weiß, Du willst mir Mut
machen. Wir kennen uns so lange Ulli, haben so viel gemeinsam erlebt. Ich
erinnere mich noch an die tollen Zeiten zu Beginn des neuen Jahrtausends.
     
    Für mich bedeutete die Jahrhundertwende zunächst einen neuen
Job. Ich hatte einen Volontariatsvertrag mit einer renommierten Berliner
PR-Agentur unterschrieben. Vom ersten Tag an war ich quer durch Deutschland
unterwegs. Dabei lernte ich Supermärkte einweihen, Messen und Kongresse
organisieren, Zeitungen produzieren und Wahlkampf machen. Wenn ich nicht gerade
unterwegs war, pendelte ich zwischen meiner gemeinsamen Schöneberger Bude mit
Gabi in der Regensburger Straße und Michas Charlottenburger Dachwohnung in der
Suarezstraße. An den Wochenenden reiste Micha mir quer durch die Republik
hinterher. Wir erkundeten Rostock und Aschaffenburg, Dresden und Schwäbisch
Hall. Manchmal machten wir uns zu viert auf den Weg, bewaffnet mit
Picknickkörben und Decken. Es war eine wundervolle, unbeschwerte Zeit. Wir
waren grenzenlos verliebt und die Welt schien uns zu Füßen zu liegen.
     
    Sie haben den ersten Zeugen für heute aufgerufen. Ich kann
mich an ihn nicht erinnern. Oliver Kausch vom zuständigen Polizei-Abschnitt,
der zuerst von den Angestellten des Hotels in Lichtenrade benachrichtigt wurde.
Ob der wohl vorher schon mal eine Leiche gesehen hat, frage ich mich. Er sieht
aus, als sei er nicht älter als 20. Der Staatsanwalt muss ihm jeden Satz aus
der Nase ziehen. Er habe sofort die Mordkommission angerufen. Erstaunlich, dass
er das konnte und nicht vorher umgekippt ist. Diesen Zeugen hätten sie sich
wohl sparen können. Der träumt wahrscheinlich immer noch jede Nacht von dem
grausigen Fund, den er im Februar gemacht hat.
    Als nächstes ist der Leiter der ermittelnden Mordkommission
in Berlin dran. Hans-Peter Schulze. Lederjacke, Jeans, ungepflegte Haare. Ich
entsinne mich, der war wirklich dabei, als ich in meinem Bett in diesem
Hotelzimmer in Mahlow, direkt an der Stadtgrenze zum Berliner Bezirk
Lichtenrade, wieder zu mir gekommen bin. Aber es waren so viele dabei. Ich habe
kaum registriert, wer da was zu sagen hatte und wer nicht.
    Die Kompetenz-Show kann beginnen. Hans-Peter scheint
Gerichts-Profi zu sein. Er ist kaum zu stoppen, erzählt, welche Maßnahmen er
zur Sicherung des Tatortes vorgenommen hat. Die Zuschauer langweilen sich. Sie
wollen Sensationen, nicht polizeiliche Routinearbeit. Ulli zwinkert mir zu. Er
hat Hans-Peter schon bei den endlosen Vernehmungen in Rage gebracht. Heute ist
dein Tag Ulli.
     
    Unser Schicksal hat zum ersten Mal an diesem schwülheißen
Sommertag im Jahr 2000 angeklopft. Es war wieder August, was sonst. Wir hatten
einen verschwiegenen See in der Nähe vom Kloster Chorin gefunden und uns zu
viert am Ufer zu einem Picknick niedergelassen. Wie wir unsere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher