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Demudis

Demudis

Titel: Demudis
Autoren: Stefan Blankertz
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Gott von Ewigkeit in Ewigkeit. Amen.«
     
    *
     
    Jenseits des Eigelsteintores, am Nachmittag des 3.2.1327
     
    Auf den Tag genau vier Jahre später erinnerte sie sich an diese erste Beichte bei Hechard. Seitdem hatte er vor allem auf ihren gemeinsamen Wanderungen nach Koblenz alle menschenmöglichen Mühen obwalten lassen, bei ihr den Glauben zu stärken, dass Liebe und Wahrheit in Gott keinen Widerspruch darstellen. Sie solle die Liebe nicht aufgeben, aber zur Wahrheit finden. Sie hatte diesen Weg nie eingeschlagen, weil sie die Folgen nicht tragen wollte – aus, wie Hechard nicht müde wurde, mit sanftem Nachdruck zu sagen, Mangel an Glauben.
    Bis jetzt. Doch jetzt war es zu spät gewesen, wie sie schmerz lich zu spüren bekam, als sich die kalten Finger ihres Peinigers um ihren Hals legten. Die Bilder ihres Lebens liefen in rasender Geschwindigkeit vor ihrem inneren Auge ab, während ihr die Luft langsam ausging. Hatte sie bisher daran festgehalten, dass es die unwiderstehliche Minne war, mit der sie die Menschen um sich herum unglücklich gemacht hatte, musste sie in diesem Augenblick, als des Lebens ganze Wucht sie eingeholt hatte und ihm das Ende bereiten sollte, erkennen, dass es sich wirklich verhielt, wie Hechard ihr wieder und wieder zu bedenken gegeben hatte: Der Mangel an Wahrheit war ihr Unglück, beruhend auf einem Mangel an Glauben. Der Glaube hätte Liebe und Wahrheit zu einer guten Wirklichkeit fügen können, wie Hechard es lehrte. Hätte.
    Sie wunderte sich, dass sie keine Todesangst empfand. Nachdem sie erkannt hatte, wer ihr Richter war, schaffte sie es vielmehr sogar, ihm einen mitleidigen Blick zuzusenden, denn auch er würde in der zwischen Liebe und Wahrheit zerrissenen Wirklichkeit, ihre Wirklichkeit, sein Schicksal finden. Schon bald.
    »Vergib mir, Paul«, stöhnte sie, und ihre Seele trennte sich von ihrem Körper. Sie hatte keine Gegenwehr geleistet.
    Ihr Meuchler hielt den Hals der toten Schwester Guta noch eine kleine Weile im festen Würgegriff, bevor er ihren entseelten Körper in den Schnee gleiten ließ. Er schaute sich verstohlen um, denn daran hatte er in seiner mörderischen Raserei nicht gedacht, dass er nämlich bei seiner Meucheltat hätte beobachtet werden können. Nachdem er sichergestellt hatte, dass das nicht der Fall gewesen war, machte er sich befriedigt von dannen. Vom Gewissen wollte er sich nicht beißen lassen. Noch nicht.

 
Von der wunderbaren Enthaltsamkeit
     
    Minne sonder Erkenntnis dünkt die weise Seele Finsternis.
    Mechthild von Magdeburg
     
    Köln, Ellikints Hurenhaus, am Abend des 29.1.1327
     
    Nein, nicht noch einen Humpen von dem erzbischöflichen Kirschbier, stark, schwarz und süß, so herrlich es auch riechen und so köstlich es auch munden mochte. Mehr fasste Wilhelms Magen beim allerbesten Willen nicht, auch wenn der inzwischen einiges gewohnt war. Er fühlte sich randvoll abgefüllt. Aber sein hartnäckiger Freund ließ nicht locker.
    »Einen noch, Bruder Wilhelm«, bettelte Bruder Hermann aufgekratzt, »damit dein Fiedelbogen macht, als wie du ihn heißt.«
    Wilhelm gewahrte, dass sich das wundervolle Bier bei Bruder Hermann in schlechten Atem verwandelt hatte, und verzog angewidert das Gesicht. Sein eigener Atem würde wohl nicht besser sein.
    »Weitere Sünden?«, lallte er in schwacher Gegenwehr. Sein schwerer Kopf dröhnte ihm, und er nahm das Wirtshaus nur verschwommen wahr. Es roch muffig in der engen Stube. Vereinzelt züngelten kleine blaue Flammen aus der Glut, wie um sich gegen das unvermeidliche Sterben des Feuers aufzulehnen. Erbarmungslos kroch die Kälte durch die allzu zahlreichen Ritzen der Wände. Wilhelm aber spürte nichts davon. An der Tür, die windschief im Rahmen hing, war auf dem Boden verschüttetes Bier schon gefroren. Nur ganz flüchtig streifte Wilhelm der Gedanke, dass sie, wenn sie denn gingen, aufpassen mussten, dort nicht auszugleiten. Kaum noch andere Gäste befanden sich im Raum. Wilhelm konnte nicht genau ausmachen, ob überhaupt noch welche da waren. Ellikint, die Wirtin von geheimnisvoller Schönheit, wollte schließen. Das wusste er. Sie legte mit deutlich vernehmbarem Klappern den Deckel auf das verbliebene Fass Bier, das neben dem Feuer stand, um es lecker warm zu halten. Sie entzündete auch keine weitere Kerze, und nachdem die vorletzte verloschen war, flackerte bloß eine vor Hermann und verbreitete den angenehmen Duft von Bienenwachs, den Wilhelm so sehr liebte. Mit einer schnippischen Drehung
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