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Deine Spuren im Sand

Deine Spuren im Sand

Titel: Deine Spuren im Sand
Autoren: Gisa Pauly
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sorgen, dass ich etwas in den Magen bekam. Ein starker Kaffee konnte auch nicht schaden, wenn ich ihn auch in einer Gesellschaft zu mir nehmen würde, die mir nicht recht war. Aber besser, ich machte ein paar Minuten dezente Konversation, als mich durch auffallendes Ablehnen derselben für immer in das Gedächtnis eines Mannes einzubrennen, der sich dadurch später an mich erinnern würde. Und vielleicht war es ja auch gut, meine Verkleidung zu testen, bevor ich einen Fuß auf die Insel setzte?
    Eine Toilettenfrau, die womöglich mit dem Gedanken spielte, später mal ihre Memoiren zu schreiben, gab es zum Glück nicht, und die junge Mutter, die ich vor dem Waschbecken antraf, hatte genug mit ihrer kleinen Tochter zu tun, die partout nicht nur ihre Hände, sondern auch die Ärmel ihrer Strickjacke waschen wollte. Sie blickte nur kurz auf, als ich mich neben sie stellte, und widmete sich dann wieder mit großem Engagement ihren pädagogischen Ansprüchen.
    Udo Jürgens berichtete unterdessen, dass er noch niemals in New York gewesen sei, und ich fragte mich, was mit dieser lauten Musik eigentlich bezweckt wurde. Dass sich die Besucher dieser Örtlichkeit nicht einsam fühlten? Oder sollte dieser Lärmschutz ihn vergessen lassen, was in der Nachbarkabine geschah?
    Als ich wieder ins Freie trat, war ich genauso unsicher wie vorher. Dass meine Verkleidung ihren Test bestanden hatte, davon konnte keine Rede sein. Das große Risiko stand mir noch bevor. Was würde ich tun, wenn jemand mit dem Finger auf mich zeigte? Davonlaufen kam nicht in Frage. Wohin auch? Meine Flucht war hier zu Ende, soviel stand fest. Zurück konnte ich nicht, und vor mir lagen nur der Hindenburgdamm und das Watt, durch das er mich führen sollte. Unerkannt! Was auf Sylt mit mir geschehen würde, wenn ich schon hier entlarvt werden sollte, mochte ich mir nicht vorstellen.
    Udo Jürgens’ Stimme war mir gefolgt. Die gleichen Lautsprecher, die in den Toilettenräumen angebracht waren, gab es auch über der Tür, die hineinführte. Ich warf einen Blick auf die große Uhr und stellte fest, dass es noch eine halbe Stunde zu überbrücken galt, bis das Verladen beginnen würde. Dreißig lange Minuten, in denen alles Mögliche passieren konnte! Wenn ich mich nun einfach ins Auto setzte und den Mann, der mir geholfen hatte, auf seiner Belohnung sitzen ließ?
    Dann aber erwachte in mir der pure Selbsterhaltungstrieb, und der gab mir eine andere Entscheidung ein. Ein Kind verließ das Bistro mit einer fettglänzenden Frikadelle in der Hand. Der Duft stieg mir in die Nase, meine Nackenhaare richteten sich auf, ich begann unter meiner Perücke zu schwitzen. Hunger! Ich brauchte unbedingt etwas zu essen! Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder, ich entriss dem Kind die Frikadelle und stopfte sie in mich hinein, ehe der Vater eingreifen konnte, oder ich ging auf der Stelle in dieses Bistro und kaufte mir eine Frikadelle. Oder zwei oder drei! Wenn ich ganz mutig war, sah ich dabei der Verkäuferin offen ins Gesicht.
    Da die erste Alternative natürlich nicht in Frage kam, griff ich also zum Türknauf und stach in das wunderbare Duftgemisch von Grillwürsten, Gyros, frischen Brötchen und Kaffee. Udo Jürgens empfing mich mit der Mitteilung, dass er ebenfalls noch nie auf Hawaii und in San Francisco gewesen sei. Ich versuchte ihn zu ignorieren und ging schnurstracks durch den langen schmalen Laden, vorbei an der Sylt-Literatur, den Souvenirs und dem Reiseproviant, direkt auf die Theke zu, wo zum Glück gerade niemand wartete. Meine Reisebekanntschaft hatte ich vor lauter Gier vergessen. Er fiel mir erst wieder ein, als ich eine Stimme rufen hörte: »Den Kaffee habe ich schon besorgt!«
    Vergnügt hockte er vor zwei großen Kaffeebechern und winkte mir zu, als hätten wir eine gemeinsame Anreise hinter uns.
    »Also gut!« Ich nickte zurück und bestellte bei der Thekenkraft drei Frikadellen, zwei Brötchen und einen Krautsalat.
    In diesem Moment hatte Udo Jürgens sich damit abgefunden, zu Frau und Kind zurückzukehren, statt nach New York abzuhauen, und das nächste Lied ertönte. »Deine Spuren im Sand, die ich gestern noch fand …« Alles, was zur Verladerampe gehörte, wurde mit derselben Musik beschallt.
    Fest schloss ich die Augen und bedauerte, das Gleiche nicht auch mit meinen Ohren tun zu können. Unser Lied! Ausgerechnet jetzt! Und ausgerechnet hier!
    »War’s das?«
    Ich öffnete die Augen wieder und nickte. Ja, das war’s! Mit Maik und mit mir
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