Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zeichen der Vier

Das Zeichen der Vier

Titel: Das Zeichen der Vier
Autoren: Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
Aber zumindest werden Sie das von meinem Fall nicht sagen können. Ich kann mir kaum etwas Seltsameres und durch und durch Rätselhafteres vorstellen als die Situation, in der ich mich befinde.«
    Holmes rieb sich die Hände, und seine Augen glitzerten. Er, lehnte sich im Sessel nach vorn, seine scharfgeschnittenen, adlerartigen Züge hatten den Ausdruck äußerster Konzentration angenommen.
    »Legen Sie Ihren Fall dar«, sagte er in knappem, geschäftlichem Ton.
    Ich hatte das Gefühl, hier fehl am Platze zu sein.
    »Sie werden mich gewiß entschuldigen«, murmelte ich und erhob mich von meinem Stuhl.
    Zu meiner Überraschung hob die junge Dame ihre behandschuhte Hand, um mich zurückzuhalten.
    »Wenn Ihr Freund die Güte haben wollte zu verweilen, so könnte er mir vielleicht einen unschätzbaren Dienst erweisen«, sagte sie.
    Ich sank auf meinen Stuhl zurück.
    »Die Tatsachen sind, in aller Kürze, die folgenden«, fuhr sie fort. »Mein Vater war Offizier bei einem indischen Regiment und schickte mich in die Heimat zurück, als ich noch ein kleines Mädchen war. Meine Mutter war nicht mehr am Leben, und ich hatte keine Verwandten in England. Ich wurde jedoch in einem guten Pensionat in Edinburgh untergebracht, wo ich bis zu meinem siebzehnten Altersjahr blieb. Im Jahre 1878 erhielt mein Vater, der dienstältester Hauptmann seines Regiments war, einen zwölfmonatigen Urlaub und kehrte nach Hause zurück. Von London aus teilte er mir telegraphisch mit, daß er gut angekommen sei und daß ich sogleich zu ihm kommen solle; als Adresse gab er das Langham Hotel an. Die Botschaft war, wie ich mich erinnere, voller Liebe und Güte. In London angekommen, fuhr ich sogleich zum Langham Hotel, wo ich die Auskunft erhielt, Captain Morstan sei wohl dort abgestiegen, jedoch am Abend zuvor ausgegangen und nicht mehr zurückgekehrt. Ich wartete den ganzen Tag lang, ohne etwas von ihm zu hören. Am Abend wandte ich mich, auf den Rat des Hoteldirektors hin, an die Polizei, und am folgenden Morgen annoncierten wir in allen Zeitungen. Unsere Nachforschungen blieben jedoch ergebnislos, und bis zum heutigen Tag bin ich ohne irgendein Lebenszeichen von meinem unglücklichen Vater. Er war zurückgekehrt, das Herz voller Hoffnung auf ein wenig Ruhe, ein wenig Behaglichkeit, und statt dessen …«
    Sie fuhr sich mit der Hand an die Kehle, und der Satz brach in einem erstickten Schluchzen ab.
    »Das Datum?« fragte Holmes und öffnete sein Notizbuch.
    »Er verschwand am 3. Dezember 1878, vor beinahe zehn Jahren.«
    »Sein Gepäck?«
    »War im Hotel zurückgeblieben. Es fand sich nichts darin, das einen Anhaltspunkt hätte bieten können; nur Kleider, ein paar Bücher und ein Haufen Kuriositäten von den Andamanen-Inseln 5 . Mein Vater hatte dort als Offizier die Wachmannschaften für die Sträflinge befehligt.«
    »Hatte er Freunde in London?«
    »Meines Wissens nur einen; Major Sholto vom 34 th Bombay Infantry, demselben Regiment wie mein Vater. Der Major hatte kurze Zeit zuvor seinen Abschied genommen und lebte in Upper Norwood. Selbstverständlich setzten wir uns sofort mit ihm in Verbindung, aber er wußte nicht einmal, daß sich sein Offizierskamerad in England aufhielt.«
    »Ein sonderbarer Fall«, bemerkte Holmes.
    »Den sonderbarsten Teil davon hab ich Ihnen noch gar nicht erzählt. Vor ungefähr sechs Jahren – oder, um präzis zu sein, am 4. Mai 1882 – erschien in der
Times
eine Annonce, in der nach der Adresse von Miss Mary Morstan geforscht und versichert wurde, es sei zu ihrem Vorteil, sich zu melden. Die Annonce war weder mit einem Namen noch mit einer Adresse versehen. Zu jener Zeit hatte ich eben meine Stelle als Gesellschafterin im Hause von Mrs. Cecil Forrester angetreten, und auf ihren Rat hin ließ ich meine Adresse in der Annoncenspalte abdrucken. Noch am selben Tag erhielt ich mit der Post eine kleine, an mich adressierte Pappschachtel, in der ich eine sehr große, schimmernde Perle, aber keinerlei Begleitschreiben fand. Seither taucht Jahr für Jahr, immer am selben Tag, so eine Schachtel mit so einer Perle darin auf, ohne den geringsten Hinweis auf den Absender. Nach dem Urteil eines Kenners sind die Perlen von seltener Art und beträchtlichem Wert. Überzeugen Sie sich selbst, sie sind wirklich ausgesprochen hübsch.«
    Bei diesen Worten öffnete sie ein flaches Etui und zeigte mir sechs der schönsten Perlen, die ich je gesehen hatte.
    »Ihr Bericht ist ausgesprochen interessant«, sagte Sherlock Holmes. »Hat
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher